PRO
Georg Sticha, ist Hundetrainer und Vizechef des Österreichischen Rottweilerklubs, der sich für eine Beißkorbpflicht ausspricht.

Ich bin dafür, dass alle Hunde - egal, welcher Rasse - an hoch frequentierten Plätzen wie Schulen, Kindergärten, Spielplätzen und Einkaufszentren einen Maulkorb tragen sollten. Damit meine ich aber nicht, dass es sich dabei um einen permanenten Maulkorb handeln sollte, das wäre eine Qual für das Tier. Es geht mir um eine vorübergehende Vorkehrung an stark belebten Orten. Ich erachte das als wichtig, denn es kann schließlich immer etwas passieren. Dem Hundehalter muss nur übel werden und die Leine aus der Hand fallen. Oder Kinder laufen frei herum und stolpern über den Hund. Dieser reagiert mit einer Abwehrhaltung oder einer Schmerzreaktion. Ohne dass er auf eine bösartige Art und Weise auf die Person hinbeißen wollte. Mit einem Maulkorb kann ein Biss verhindert werden.

Georg Sticha, Vizepräsident des österreichischen Rottweilerklubs ist für eine Maulkorbpflicht an belebten Orten
Georg Sticha, Vizepräsident des österreichischen Rottweilerklubs ist für eine Maulkorbpflicht an belebten Orten © KK

Die aktuelle Gesetzesnovelle der Wiener Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) ist jedoch ein Skandal, der keine kynologische Sachlichkeit aufweist. Mit dem Beschluss wird über das Ziel hinausgeschossen. Es ist eine Anlassgesetzgebung, eine populistische Maßnahme. Sie entbehrt jeder Fachlichkeit und fördert nur die Ausgrenzung der Listenhundebesitzer. De facto wurde wie bei den anderen elf Verschärfungen, die es bis jetzt gab, auch hier kein Hundebiss verhindert. Notwendig wäre stattdessen, Experten der verschiedensten Couleur (ÖKV, Vet.Med usw.) zurate zu ziehen, und auf ihre Fachmeinung zu hören. Auch der Sachverstand der Hundehalter muss in die richtige Richtung gehen. Also: Wie lese ich meinen Hund und wie führe ich ihn in der Gesellschaft von Menschen richtig? Hundebesitzer müssen sich an Gesetzestexte halten. Wenn das passieren würde, käme es zu weniger Vorfällen.

Das vorgegebene Alkohollimit wird kaum kontrolliert werden können, da selbst die Kontrollen der Autofahrer minimalst passieren. Es stellt sich auch die Frage: Was passiert nach dreimaliger Alkoholisierung mit dem Tier? Bleibt dann nach einer Überbelegung der Wiener Tierschutzhäuser wohl nur die letzte Konsequenz, dass Euthanasie angedacht ist?

Es wäre wünschenswert, wenn Stadträtin Sima nicht nur die sogenannten Listen abschaffen, sondern auch die Hundehalteverordnung ähnlich der niederösterreichischen Sachkunde beziehungsweise der Begleithundeprüfung des Österreichischen Kynologenverbandes abändern würde. Unsere Politiker sollten sich das Zitat von Mahatma Gandhi vor Augen halten: „Die Größe einer Nation lässt sich daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt.“  CONTRA
Madeleine Petrovic, geboren 1956, war von 1994 bis 1996 Bundessprecherin der Grünen und von 2002 bis 2015 Landessprecherin der Grünen in Niederösterreich. Seit 2008 ist sie Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins, der mit dem Tierschutzhaus in Vösendorf Europas größtes Tierheim betreibt.

Das Wiener Tierhaltegesetz soll mit den neuen Regelungen, die sich gegen sogenannte Listenhunde richten, in der Amtsperiode der Umweltstadträtin Ulli Sima mittlerweile zum zwölften Mal „verschlimmbessert“ werden. Es ist Ausdruck einer verfehlten Legistik, ein Landesgesetz derart oft aus konkreten Anlassfällen nachzuschärfen.

Demnach soll noch heuer neben etwa einem Alkohollimit für ListenhundebesitzerInnen auch eine Maulkorb- und Leinenpflicht für Listenhunde eingeführt werden. Nicht nur, dass diese berüchtigte Liste der sogenannten Kampfhunde eine willkürlich verordnete Trennlinie ist, die weder sinnvoll noch wissenschaftlich haltbar ist, erschwert sie als rechtlich gültiger Unfug die Arbeit der Tierschutzvereine in der Praxis, stigmatisiert Hunde zu Bestien und verunglimpft redliche Hundebesitzer.

Madeleine Petrovic ist Präsidentin des Wiener Tierschutzvereines
Madeleine Petrovic ist Präsidentin des Wiener Tierschutzvereines © KK

Einen Schutz für Angriffe durch Hunde bieten diese neuen Regelungen, ob nun Maulkorb- oder Leinenpflicht, nicht, denn sie setzen am völlig falschen Ende an. Eigentlich sollte ein tragischer Bissvorfall wie jener um den kleinen Waris die Verantwortlichen endlich zum Nachdenken bringen und echte Präventivmaßnahmen nach sich ziehen: Herkunft, Zucht, Handel, falsches Training, falsche Auswahl der Hunde, falsches Handling - all das sind Faktoren, die für eine allumfassende Lösung bedacht werden müssen. Im Wiener Tierschutzverein versuchen wir, Hundebesitzer genau in diesen Punkten zu beraten. Dauerhaftes Tragen eines Maulkorbes ist außerdem nichts anderes als Tierquälerei, nicht artgerecht und kann auch sanfte Hunde auffällig werden lassen. Die Wiener Politik hat immer gebeten, Hunde aus Tierheimen, natürlich hauptsächlich aus dem hauseigenen Tierquartier, zu holen. Genau diesen lieben Leuten fällt die SP nun in den Rücken und verpasst der Demokratie und dem Sachverstand einen Maulkorb.

Die Stadträtin rühmt sich damit, „streng“ durchgreifen zu wollen. Wie die neuen Regelungen in der Praxis umgesetzt werden sollen, ist höchst fraglich. Denn streng sollte nicht mit „unsachlich“ gleichgesetzt werden. Wenn Wien eigentlich die Haltung von Hunden in der Stadt immer mehr erschweren oder gar unmöglich machen will und gleichzeitig eine sinnvolle österreichweite sichere Regelung boykottiert, so scheint das eher mit einer gewissen Trotzhaltung und dem Streben nach einer weiteren Polarisierung zu tun zu haben, als mit echten Bemühungen in Richtung einer rücksichtsvollen und sicheren Mensch-Tier-Beziehung.