Bei der Vernehmung mehrerer Zeugen stand das Verhältnis des Angeklagten zu einem heute 15-Jährigen im Mittelpunkt.

Dem ehemaligen Stadtrat wird angelastet, sich seit 2012 an mehreren Buben vergangen zu haben. Der Mann bekannte sich am ersten Verhandlungstag am 28. August nicht schuldig. Massiv belastet wurde er von dem 15-Jährigen. Dieser war neun, als es laut Anklage im Sommer 2012 zum ersten Missbrauch kam - beginnend mit Entkleiden und Masturbation über Oral- bis zum erzwungenen Analverkehr.

In Hinblick auf den Hauptbelastungszeugen betonte Verteidiger Roland Friis am ersten Verhandlungstag, dass "Aussage gegen Aussage" stehe. Laut seinem Mandanten würden die Vorwürfe so nicht stimmen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Angaben eines Teenagers - von dem die eigene Mutter gesagt habe, er hätte ständig gelogen, seit er acht war - mehr wiegen sollten.

Oft Schule geschwänzt

Der Prozess wurde im August vertagt, weil die Verteidigung die Ladung weiterer Zeugen beantragt hatte. Die Leiterin einer Neuen Mittelschule im Bezirk Gänserndorf wurde am Freitag in der Schöffenverhandlung befragt. Sie sagte, dass der Hauptbelastungszeuge bis zur dritten Klasse sehr positiv aufgefallen sei, später aber immer öfter die Schule geschwänzt habe. Der heute 15-Jährige sei irgendwie "aus der Spur gekommen".

Die Zeugin habe auch gehört, dass der Angeklagte Kontakt zu Burschen im Alter von zehn bis 14 Jahren suche und sich diese, sowie vereinzelt auch junge Mädchen, immer wieder bei ihm in der Wohnung aufhalten würden. Konkrete Hinweise auf Übergriffe habe es aber nicht gegeben. Bei einem persönlichen Gespräch habe ihr der 38-Jährige versichert, dass er eine pädagogische Ausbildung habe und sich als Stadtrat um die Jugend in der Gemeinde kümmern wolle. Sie habe ihm geraten, keine Kinder ohne die Einwilligung der Eltern zu sich einzuladen.

Eine, wie der Richter sagte, "mütterliche Freundin" des Angeklagten bekräftigte, nie etwas Auffälliges am 38-Jährigen bemerkt zu haben. Als der Hauptbelastungszeuge beim Ex-Lokalpolitiker einziehen habe wollen, habe sie der Mann um Rat gefragt. Ihre Antwort sei gewesen, dass er "dies nicht einfach so machen könne". Dass ein Bursch zu einem Wildfremden ziehen will, sei ihr nicht komisch vorgekommen, da sie immer wieder mitbekommen habe, wie sehr der Beschuldigte Jugendliche unterstützt habe. Viele Kinder hätten den Niederösterreicher auch "massiv ausgenützt".

Ein weiterer Zeuge gab an, von 2013 bis 2017 "sehr oft" beim Beschuldigten in dessen Wohnung gewesen zu sein. Es habe überhaupt keine Dinge gegeben, die ihm seltsam vorgekommen seien. Den Hauptbelastungszeugen kenne er gut, dieser habe ihm immer wieder erfundene Geschichten erzählt.

Ein 15-Jähriger, der den Angeklagten ebenfalls oft besuchte, sagte, dass der heute 38-Jährige zwei Mal nackt durch die Wohnung gelaufen war, um vom Handy abzuheben. Ein weiterer Bekannter des Beschuldigten meinte, ihm käme die Version des Hauptbelastungszeugen "ein bisschen Spanisch vor". Das Urteil im fortgesetzten Prozess wird für Freitagabend erwartet.

Sachverständige am Wort

Der Hauptbelastungszeuge ist  unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt worden. Das danach präsentierte psychologische Gutachten einer vom Gericht bestellten Sachverständigen ergab, dass bei dem 15-Jährigen eine posttraumatische Belastungsstörung im Ausmaß einer schweren Körperverletzung vorliegt.

Der Bursch sei bis Anfang 2017 relativ unauffällig gewesen, ab Sommer 2017 habe sich die Symptomatik massiv verschlechtert. Im Sommer 2018 wurde er in einem Krankenhaus stationär aufgenommen, nachdem er bis dahin ambulant behandelt worden ist, so die Psychologin. Die in der Anklage angeführten Tathandlungen seien geeignet, ein derartiges Krankheitsbild auszulösen. Andere gleichwertige Ereignisse hätten von dem heute 15-Jährigen nicht angegeben werden können, sagte die Sachverständige. Durch die Verhaltensänderung sei es auch zu innerfamiliären Konflikten gekommen. Diese seien aber als Folge, nicht als Ursache der Belastungsstörung zu bewerten, so die Gutachterin. Bereits mit dem ersten Übergriff sei die Ursache für die Störung gelegt worden.

Warum der Bursch den Angeklagten auch nach den ersten Vorfällen immer wieder besuchte, erklärte sich die Sachverständige damit, dass er in der Wohnung des Beschuldigten auf einer materiellen Ebene "sehr viel an Benefit bekommen habe". Gleichzeitig habe er aber auch gewusst, dass das, was dort mit ihm passiere, "nicht richtig" sei. Auf die Frage von Verteidiger Roland Friis, warum der 15-Jährige dann ausgerechnet nach der letzten mutmaßlichen Vergewaltigung zum Beschuldigten habe ziehen wollen, erklärte die Psychologin, dass sich das für sie nicht widerspreche.

In der Schöffenverhandlung wurde auch ein etwa 15-minütiges, selbstgefilmtes "Prank"-Video vorgeführt. Darauf war der Hauptbelastungszeuge in der Wohnung des Beschuldigten zu sehen, der dem 38-Jährigen gemeinsam mit anderen Burschen Streiche mit Ketchup und Reinigungsmittel spielte. Außerdem erzeugte er mit einem Feuerzeug und einem Deo-Spray eine Stichflamme, die er auf die geschlossene Schlafzimmertür des Mannes richtete. Der Angeklagte zeigte sich in dem Video von den "Pranks" (Streich, Anm.) angewidert. Als der Ex-Lokalpolitiker dem heute 15-Jährigen die Kamera entreißen wollte, verdrehte er dem Burschen kurz die Hand. Die Aufnahme stamme vom November 2017, erklärte der Beschuldigte.

Ein Zeuge, der eine Haftstrafe in der Justizanstalt Korneuburg absitzt, erklärte, früher im gleichen Haus wie der Angeklagte gewohnt zu haben. Dabei habe er laufend Dinge beobachtet, die "so nicht richtig waren". Der Beschuldigte habe immer wieder Kinder "Oberschenkel aufwärts" unsittlich berührt. Dies sei u.a. vor der Haustüre passiert, die Betroffenen seien Buben und Mädchen im Alter "zwischen zwölf und 14 Jahren" gewesen. De Berührungen seien "sicher nicht freundschaftlich gewesen". Zudem habe der 38-Jährige immer wieder Alkopops für die Kinder eingekauft und an diese weitergegeben.