Immer wieder sieht sich die Volksanwaltschaft mit Beschwerden über psychiatrische und psychologische Gerichtsgutachten konfrontiert. Das Ausmaß diesbezüglicher Kritik nehme zu. Volksanwältin Gertrude Brinek will deswegen Mindeststandards etablieren. Seit März erarbeitet ein multidisziplinärer Kreis von Fachleuten entsprechende Richtlinien. Bis Jahresende sollen die Ergebnisse vorliegen.

"Derzeit sind rund 1.050 Menschen im Maßnahmenvollzug - so viele wie noch nie", sagte Brinek im APA-Gespräch. "Es braucht qualitätsvolle Gutachten, damit es nicht zur ungerechtfertigten Verlängerung des Aufenthalts kommt. Die Gutachten sind hier ein Key-Faktor (Schlüsselfaktor, Anm.)." Im Maßnahmenvollzug sind zurechnungsunfähige bzw. geistig abnorme und als gefährlich eingestufte Straftäter untergebracht.

Keinerlei Minimalstandards

"Es gibt keinerlei Minimalstandards in Österreich, weder formal noch inhaltlich", kritisierte Brinek fehlende Richtlinien für Gutachten, auf deren Basis Straftäter eingewiesen werden. "Man geht immer davon aus, dass solche Standards 'im Gebrauch' eingehalten werden, aber sie sind nicht festgeschrieben." Und die Praxis zeige, dass die - wenn auch insgesamt vergleichsweise geringe - Anzahl von Fällen mit mangelhaften Gutachten steige.

Dazu zähle die Beobachtung, dass "von bestimmten Gutachtern zu viele Gutachten ausgestellt werden", die dann häufig inhaltliche Mängel aufwiesen. Oft hätten solche viel beschäftigten Sachverständigen die Klienten "nur einige Minuten oder gar nicht gesehen". Ein weiteres Manko seien "unverbindliche Aussagen" in den Expertisen, die für das Risikomanagement im Maßnahmenvollzug nicht brauchbar seien. "Es gibt da keinen Unterschied zwischen Erst- und Entlassungsgutachten", kritisierte die Volksanwältin.

Neben konkreten und verbindlichen Vorgaben, wie Gutachten entstehen und aussehen sollen, setzt die Volksanwältin auf die Einbeziehung klinischer Psychologen neben den Psychiatern und eine gemeinsame Fortbildung. In Österreich würden weiters dringend mehrere Lehrstühle für forensische Psychiatrie benötigt. Ein Problem sei die zu kleine Anzahl von Gutachtern, auf die Gerichte zurückgreifen können, ein weiteres die schlechte Bezahlung. "Es wird auf der einen Seite Masse auf Kosten der Qualität produziert. Die anderen halten sich gar nicht bereit", so Brinek.

"Gutachten müssen richtig und verlässlich sein", betonte die Volksanwältin. "Einheitliche Standards müssen so verfasst werden, dass sie gelebt und auch überprüft werden können." Die Ergebnisse des Arbeitskreises sollen um das Jahresende vorgestellt und dem Justizministerium übermittelt werden.