Mit lebenslanger Haft hat am Donnerstagabend der Prozess gegen einen 23-jährigen Afghanen geendet, der im März dieses Jahres mit einem Messer eine völlig unbeteiligte Familie, seinen Drogendealer sowie einen Zeugen attackiert hatte. Die Geschworenen sprachen den Asylwerber am Wiener Landesgericht des Mordversuchs schuldig. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Wie im Blutrausch hat der Angeklagte, der sich am Donnerstag wegen fünffachen Mordversuchs am Wiener Landesgericht verantworten musste, im März auf seine Opfer eingestochen, führte die Staatsanwältin aus. Für den psychiatrischen Sachverständigen Peter Hofmann war dies "ein Amoklauf, wie er in der heutigen Zeit leider immer öfter vorkommt".

Am Donnerstagnachmittag haben sich die Geschworenen zur Beratung zurückgezogen. Zuvor sprach sich die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer dafür aus, "die volle Härte des Gesetzes auszuschöpfen" - nämlich lebenslange Haft. Sein Verteidiger meinte hingegen: "Ein einziger Stich in eine Körperregion muss kein Mordversuch sein." Zudem stellte er die Zurechnungsfähigkeit seines Mandanten erneut infrage.

Der afghanische Asylwerber hatte am 7. März am Nestroyplatz zunächst auf eine dreiköpfige, völlig unbeteiligte Familie eingestochen. Das Ehepaar und die 17-Jährige Tochter überlebten nur aufgrund einer besonders gut funktionierenden Rettungskette. Anschließend lief der Angeklagte in Richtung Praterstern, wo er sich an seinem Drogendealer rächen wollte, den er für seine triste Lebenssituation verantwortlich machte. Auf dem Weg dorthin stellte sich ihm ein Passant in den Weg, der vermutete, der Mann sei von einer Schlägerei geflüchtet. Lediglich durch seine schnelle Rektion könnte dieser Zeuge Messerstichen ausweichen. Weniger Glück hatte anschließend der Dealer: Ihm stach der 23-Jährige in den linken unteren Rippenbogen.

Wollte Rache

Bei der Polizei hatte der Beschuldigte noch ausführliche Aussagen gemacht. Er wäre wegen Drogenkonsums aus der Flüchtlingsunterkunft geflogen, er sei mit seiner Lebenssituation sehr unzufrieden gewesen und von einem Hotelportier als schwul beschimpft worden. Daraufhin hätte er sich zwei Messer besorgt, um diesen "zur Rede zu stellen". Am Weg begegnete ihm jedoch beim Nestroyplatz die Zahnarztfamilie, und er habe den Eindruck gehabt, diese würde ihn auslachen.

Nach diesem Angriff wollte er sich an seinem Dealer rächen, den er am Praterstern vermutete. Nachdem er auch diesen niedergestochen hatte, wollte er weitere Drogenhändler am Schottenring attackieren, fand diese jedoch nicht und wurde beim Rückweg zum Praterstern verhaftet.

Vor Gericht wollte er sich jedoch an kaum etwas erinnern und folgte damit der Linie seines Verteidigers, Wolfgang Blaschitz. Dieser sprach in seinem Eröffnungsplädoyer von einer "drogenindizierten Psychose", die seinen Mandanten, der in einer Fantasiewelt gelebt habe, zu den Taten verleitet habe. Drei Gramm Kokain sowie mehrere Ecstasytabletten habe er konsumiert, so der Beschuldigte.

Gedächtnislücken

Dies ist jedoch auszuschließen, so der Sachverständige Paul Gmeiner: Die entsprechenden Blutproben hätten lediglich THC durch Cannabis ergeben, anderes Suchtgift könne er nicht genommen haben. Auch bei zwei Einvernahmen bei der Polizei unmittelbar nach der Festnahme hatte der Afghane selbst ausgeschlossen, in den vergangenen zehn Tagen Drogen genommen zu haben. Diese Aussage verneinte der Angeklagte nun, im Gegenteil, er habe seinen Suchtgiftkonsum angegeben.

Auch sonst konnte der Angeklagte nicht begründen, warum er sich unmittelbar nach der Tat noch an viele Dinge erinnern konnte, vor Gericht jedoch an Gedächtnislücken litt. Es tue ihm leid, warum er die Familie attackiert habe, wisse er jedoch nicht. Töten habe er jedenfalls niemanden wollen.

Laut Hofmann hatten sich bei dem Afghanen Zorn, Wut. Frustration und Kränkung über Jahre aufgebaut. "Das hat an ihm genagt und viel Frust bei dieser Tat entladen." Es gäbe keinen Grund für eine Einweisung, stellte der Sachverständige klar. Bis zu der Tat sei er auch nie in psychiatrischer Behandlung gewesen.

Der medizinische Sachverständige Christian Reiter berichtete, dass der Familienvater bereits klinisch tot war. Er sei unter Reanimationsbedingungen ins AKH eingeliefert worden. Durch den Sauerstoffmangel hätten jedoch die Nieren derart gelitten, dass der Zahnarzt nunmehr dreimal pro Woche eine Dialyse benötigt. "Mit 68 Jahren ist es schwer, dass man noch eine neue Niere bekommt." Auch die Mutter wäre ohne die perfekt funktionierende Rettungskette verblutet, ebenso der Drogendealer. Die Verletzung der Tochter war "nur" potenziell lebensgefährlich. Der Zeuge, der sich dem Afghanen in den Weg gestellt hatte, wäre zumindest schwer verletzt worden, hätte ihn dessen Messerstich getroffen.

Von Weinkrämpfen geschüttelt, bis sie völlig die Fassung verlor, hat eines der Opfer vor Gericht die dramatische Attacke geschildert. Die Mutter war das erste Familienmitglied, das von dem Afghanen angegriffen wurde. Obwohl sich der Angeklagte bei der Aussage nicht im Verhandlungssaal befand, waren ihr die psychischen Folgen deutlich anzumerken.

Etwas besser schien, zumindest oberflächlich, die 17-Jährige die Geschehnisse verarbeitet zu haben. Ruhig und gefasst erzählte sie, dass ihr der 23-Jährige beim Vorbeigehen "eigenartig" vorgekommen sei. Deshalb habe sie sich umgedreht, ob dieser auch weitergehen würde. Dabei sah sie, dass dieser offenbar das Messer herauszog und auf ihre Stiefmutter losging, danach war ihr Vater das nächste Ziel. "Da habe ich realisiert, jetzt bin gleich ich dran und bin auf die Straße gelaufen." Doch sie kam zu Fall, ob sie selbst gestolpert ist oder vom Beschuldigten zu Boden gerissen wurde, wusste sie nicht mehr. Auch auf sie wurde eingestochen, doch der Angreifer ließ von ihr ab, da der Vater seine Tochter zu retten versuchte. "Da bin ich zu anderen Menschen geflüchtet." Der Familienvater ist durch das Geschehen psychisch so schwer angeschlagen, dass auf seine Aussage verzichtet werden musste.

Die Staatsanwältin hatte sich in ihrem Plädoyer dafür ausgesprochen, "die volle Härte des Gesetzes auszuschöpfen" - nämlich lebenslange Haft. "Es hätte jeden von uns treffen können, der dem Täter auf der Praterstraße über den Weg gelaufen ist." Blaschitz meinte hingegen: "Ein einziger Stich in eine Körperregion muss kein Mordversuch sein." Zudem stellte er die Zurechnungsfähigkeit seines Mandanten infrage. Bei der Strafhöhe sei darauf Rücksicht zu nehmen, dass niemand ums Leben gekommen ist.