Die Landtags- und Gemeinderatswahlen im Jahr 1932 zeigten eine dramatisch gestiegene Wählerschaft der Nationalsozialisten. Der radikale Oppositionshabitus der Nazis mobilisierte etwa ein Drittel der österreichischen Wählerschaft. Dies traf eine Bundesregierung, die über keine belastbare Mehrheit im Nationalrat verfügte.

Anfang Jänner 1933 machte die Arbeiterzeitung öffentlich, dass Waffen aus dem Ersten Weltkrieg von Italien nach Österreich transportiert wurden, um diese in Hirtenberg zu überarbeiten und danach dem autoritären ungarischen Horthy-Regime zu übergeben. Ein kleinerer Teil sollte in die Hände der austrofaschistischen Heimwehr gelangen. Damit sollte die Regierung zum Rücktritt gezwungen werden, verstieß sie ja damit gegen die Bestimmungen des Friedensvertrages von St. Germain.
Der Bundeskanzler Engelbert Dollfuß flüchtete sich gegenüber den protestierenden Gesandten Frankreichs, Großbritanniens und jenen der Kleinen Entente in ein Stakkato von Lügen, während Ende Jänner 1933 im Deutschen Reich die Nazis die Macht übernahmen und innerhalb weniger Wochen staatsstreichartig die Verfassung aushebelten. Gleichzeitig forcierten die österreichischen Nazis ihre aggressive Agitation, um eine Neuwahl des Nationalrates zu erzwingen. Man wollte nach deutschem Vorbild ins Parlament, um es zu zerstören.

1930: Sozialdemokraten durften noch marschieren
1930: Sozialdemokraten durften noch marschieren © Picturedesk

Am 4. März kam es zu jener verhängnisvollen Nationalratssitzung, in der die drei Nationalratspräsidenten, Karl Renner (Sozialdemokraten), Rudolf Ramek (Christlichsoziale) und Sepp Straffner (Großdeutsche Volkspartei) aus taktischen Gründen zurücktraten, um damit jeweils ihrer Fraktion die Mehrheit bei der Abstimmung zu sichern. Führungslos ging der Nationalrat auseinander und die Regierung nutzte nach einer Schrecksekunde die Geschäftsordnungspanne, um ohne parlamentarische Kontrolle zu agieren. Der Versuch Straffners, den Nationalrat wieder einzuberufen, wurde durch die Polizei verhindert.

Nun folgte der Staatsstreich auf Raten. Der Verfassungsgerichtshof wurde lahmgelegt, die Versammlungs- und Pressefreiheit eingeschränkt, im Frühjahr 1933 wurden die Kommunistische Partei, der sozialdemokratische Schutzbund und die NSDAP verboten. Deren Terror und politisches Programm hätte ein Verbot im Rahmen der geltenden Verfassung spätestens 1932 möglich gemacht. Der innerösterreichische Terror der Nazis war mit den deutschen Parteistellen koordiniert, während Adolf Hitler mit der Tausend-Mark-Sperre – nach Österreich reisende Deutsche hätten 1000 Mark zu zahlen gehabt – einen Wirtschaftskrieg begann.

1933: Das Bundesheer ist am 1. Mai kampfbereit
1933: Das Bundesheer ist am 1. Mai kampfbereit © (c) Hilscher, Albert / ÖNB-Bildarch (Hilscher, Albert)

Das Treffen von Dollfuß mit dem italienischen „Duce“ Benito Mussolini zu Ostern 1933 beschleunigte den Weg in die Diktatur. Das faschistische Italien drängte seit Beginn der 1930er-Jahre gemeinsam mit Ungarn auf die Schaffung eines gegen das Königreich Italien gerichteten Blocks, in dem Österreich eine entscheidende Brückenfunktion zukam. Spätestens seit der Waffenaffäre sah man in den Sozialdemokraten die eigentlichen Gegner.

Otto Bauer und Karl Renner suchten ab dem Herbst 1933 die eigene Partei zu einigen und gleichzeitig der Regierung Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Als Grenzlinie dieser in einer Artikelserie der Arbeiterzeitung Ende 1933/Anfang 1934 hervorgestrichenen Angebote, die der Regierung weitgehende Vollmachten zusicherten, definierte der Sozialdemokratische Parteitag im November 1933 das Verbot der Partei und der sozialdemokratischen Gewerkschaften, die Ausschaltung der sozialdemokratischen Wiener Stadtverwaltung und das Oktroi einer neuen Verfassung.

Die Bundesregierung, geprägt von der tiefen Wirtschaftskrise und einem unbeschreiblichen Heer von Arbeitslosen und Ausgesteuerten, regierte weitgehend mit dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz, dessen Kontrolle durch den Nationalrat und den Verfassungsgerichtshof ausgeschaltet war. Eine Internationalisierung des deutsch-österreichischen Konflikts durch die Anrufung des Völkerbundes hintertrieb Italien, das gleichzeitig den Druck auf Dollfuß erhöhte, die Sozialdemokratie endgültig auszuschalten.

1934: Der „Schutzherr“ Österreichs, der italienische „Duce“ Benito Mussolini, empfängt am Bahnhof in Rom Bundeskanzler Kurt Schuschnigg (rechts) und den ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Gömbös
1934: Der „Schutzherr“ Österreichs, der italienische „Duce“ Benito Mussolini, empfängt am Bahnhof in Rom Bundeskanzler Kurt Schuschnigg (rechts) und den ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Gömbös © Picturedesk

Als am 12. Februar 1934 der Linzer Schutzbundführer Richard Bernaschek gegen die eigene Parteileitung putschte – diese hatte ihm einen bewaffneten Widerstand untersagt – und sich gegen eine erneute Waffensuche der Polizei zur Wehr setzte, kam es in Oberösterreich, Wien und der Steiermark zu jenem partiellen Schutzbundaufstand, der nach wenigen Tagen zusammenbrach und mit politisch motivierten Justizmorden in Standgerichtsverfahren endete. Die Sozialdemokratische Partei wurde verboten, ihre vielfältigen Organisationen aufgelöst, das rote Wien unter Kuratel gestellt. Damit war der Weg für den faschistischen Flügel innerhalb der Regierung frei, endgültig den Staat umzubauen, wie es Dollfuß in der Trabrennplatzrede im September 1933 angekündigt hatte.

In einer grotesken Sitzung des Rumpfnationalrates – den Vertretern der Sozialdemokraten war das Mandat entzogen, eine große Zahl dieser Abgeordneten war inhaftiert – wurde das 1933 abgeschlossene Konkordat mit dem Heiligen Stuhl ratifiziert und eine neue Verfassung beschlossen, die mit dem 1. Mai 1934 in Kraft trat. Die politische Repräsentanz der Bevölkerung blieb Dekorum, das Recht ging nicht mehr vom Volk, sondern von „Gott“ aus. An die Stelle der Parteien – selbst die regierungsnahen wurden nun aufgelöst – setzte man die „Vaterländische Front“, die keine faschistische Massenbasis war. Der emigrierte Otto Bauer bezeichnete diese bürokratische Hülse treffend als „Spottgeburt ohne Feuer und Eis“.

Die Ausschaltung der Sozialdemokratie, deren junge, kaum theoretisch geschulte Anhänger zunehmend dem radikalen Oppositionshabitus der Nationalsozialisten erlagen, während im prononciert linken Flügel eine Abwanderung Richtung Kommunisten einsetzte, ließ die Nazis endgültig zur dominanten oppositionellen Kraft werden. Richtungskämpfe innerhalb dieser Bewegung führten im Juli 1934 zu jenem Putschversuch, bei dem der ehemalige steirische Landeshauptmann Anton Rintelen zum Bundeskanzler ausgerufen werden sollte und der Engelbert Dollfuß das Leben kostete.

Die zum Teil heftigen Kämpfe in Oberösterreich, Kärnten und der Steiermark zwischen den Nazis und den Regierungstruppen endeten nach einigen Tagen. Angesichts der Niederlage ermordeten einzelne Nationalsozialisten gezielt Gendarmen. Der ermordete Dollfuß, der gleichermaßen die demokratische Linke wie auch die Nationalsozialisten bekämpfte, wurde von der Regierung zum Märtyrer stilisiert. Ihm folgte Kurt von Schuschnigg, der sich rasch gegen die regierungsnahen Heimwehren unter Ernst Rüdiger von Starhemberg durchzusetzen wusste und diesen 1936 endgültig ausschaltete.

1936: Gegenpol zu Hitler – die Inszenierung des Bundeskanzlers Schuschnigg
1936: Gegenpol zu Hitler – die Inszenierung des Bundeskanzlers Schuschnigg © Picturedesk

Mussolini, der im Juli 1934 zum letzten Male demonstrativ der österreichischen Regierung seine Loyalität bekundete, wandte sich neuen Themen zu. Sein Hauptanliegen, die Beseitigung der Demokratie in Österreich, war ja schon mit dem Februar 1934 erreicht worden. Im Herbst 1935 überfiel Italien in kolonialem Größenwahn Abessinien. Die nun einsetzende internationale Ächtung führte zur Annäherung an Hitler, der unter Bruch des Friedensvertrages sein Land aufzurüsten begann.
Von Italien und jenen österreichischen Wirtschaftskreisen, die an der deutschen Aufrüstung partizipieren wollten, unter Druck gesetzt, entschloss sich Schuschnigg im Juli 1936 zu einem Abkommen mit Hitler. Für die Bestätigung der Unabhängigkeit Österreichs akzeptierte die österreichische Regierung in einem geheimen Zusatzabkommen eine weitgehende Bewegungsfreiheit der nationalsozialistischen Kräfte, die überdies einen Vertrauensmann in die Regierung entsandten. Österreich, das sich im Völkerbund gegen eine Verurteilung Italiens ausgesprochen hatte, verlor damit endgültig die Unterstützung der westlichen Großmächte. Für diese wurde der deutsch-österreichische Konflikt damit de facto zu einer innerdeutschen Angelegenheit.

Die Versuche Schuschniggs, ab 1934/35 sozialdemokratische Anhänger durch eine Signalpolitik für die Vaterländische Front, der als christlich-patriotisches Sammelbecken geschaffenen Organisation, zu gewinnen und ab Juli 1936 die „nationale“ Opposition einzubinden, mussten scheitern. Seine bürokratische Regierungsdiktatur blieb überdies auch in wirtschaftspolitischen Maßnahmen weitgehend erfolglos.

1935: Fackelzug von rund 100.000 Amtswaltern der Vaterländischen Front in Wien
1935: Fackelzug von rund 100.000 Amtswaltern der Vaterländischen Front in Wien © Picturedesk

Im Gegenzug plante Hermann Göring als Beauftragter des Vierjahresprogrammes der deutschen Aufrüstungswirtschaft bereits zu diesem Zeitpunkt die österreichischen Ressourcen ab 1938 als feste Größe ein. Der deutsche Gesandte in Wien, Franz von Papen, der schon im Jänner 1933 Hitler den Weg zur Reichskanzlerschaft geebnet hatte, erwies sich ab dem Sommer 1934 erneut als Steigbügelhalter. Unter Bruch jeglicher diplomatischer Konvention wurde Papen zum Drahtzieher einer evolutionären Machtergreifung der Nazis in Österreich.

Dem aggressiven Traum vom großdeutschen Reich suchte das österreichische Regime seit 1933 eine österreichische Identität entgegenzusetzen, indem man das eigene Land als den besseren deutschen Staat proklamierte und sich dabei auf Versatzstücke aus der österreichisch-habsburgischen Geschichte stützte. Die Türkenbelagerung 1683 setzte man mit der „heidnischen“ Aggression der Nazis gleich, Maria Theresia wurde zur säkularen Alma Mater Austria, Friedrich II. wurde zum Vorläufer der Nazis. Den strikt antinationalsozialistischen Monarchisten, ein kaum wahrnehmbares Spurenelement in der österreichischen politischen Landschaft seit 1918, bot man im Traditionsreferat der Vaterländischen Front einen Rahmen. Ab 1936/37 näherten sich die österreichischen Kommunisten in der Volksfrontstrategie auf der Schiene der österreichischen Nation dem antinationalsozialistischen Habitus des Regimes an, was ihnen nach dem „Anschluss“ 1938 herbe Kritik von Otto Bauer eintragen sollte.

1937: Aufmarsch der Vaterländischen Front in Wien
1937: Aufmarsch der Vaterländischen Front in Wien © Picturedesk

Der schleichende Staatsstreich und der Februar 1934 traumatisierten die Sozialdemokratie zutiefst. Sie sah die Ausschaltung der Demokratie als die Zerstörung der Verteidigung Österreichs vor dem Nationalsozialismus, den „Austrofaschismus“ als Wegbereiter des „Anschlusses“, den viele von ihnen, auch gefördert durch die Propaganda der Nazis, als Abstrafung einer hypertrophen Diktatur sahen. Im Werben um die Stimmen der ehemaligen Nazis ab den Wahlen 1949 kehrte diese Sichtweise im von Bruno Kreisky apostrophierten „gemeinsamen Hass auf Dollfuß“ wieder. Die Österreichische Volkspartei, hervorgegangen aus der Konkursmasse der alten Christlichsozialen, des katholischen Bauernbundes und den meist jungen Funktionären des „autoritären Regimes“, betonte den antinationalsozialistischen Habitus des ermordeten „Heldenkanzlers“ Dollfuß, dessen „antimarxistische“ Positionierung eingebettet in die Rahmenerzählung des „Kalten Krieges“ der „Versöhnungspolitik“ eines Alfons Gorbach (von 1960 bis 1963 Bundesparteiobmann der ÖVP und von 1961 bis 1964 Bundeskanzler) etwa zuarbeitete. Dort, wo der Antiklerikalismus eine prägende Schiene war, um vom linken Lager ins nationalsozialistische zu wechseln, war die SPÖ mit ihrer Sichtweise erfolgreich, dort, wo der „Antibolschewismus“ den Übergang zu den Nationalsozialisten bestimmte, war es die ÖVP. 

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