Am Landesgericht Wiener Neustadt ist am Dienstag ein Mordprozess gegen einen 48-Jährigen fortgesetzt worden. Er hatte sich zum Auftakt vor einer Woche schuldig bekannt, seine von ihm betreuten, gehörlosen Eltern (85 und 75) Anfang Jänner im gemeinsamen Haus in Perchtoldsdorf (Bezirk Mödling) durch Schläge mit einem Baseballschläger getötet zu haben. Knapp nach 17 Uhr hat  am Landesgericht Wiener Neustadt die Rechtsbelehrung mit nachfolgender Urteilsberatung begonnen. Die Staatsanwältin hielt die Mordanklage aufrecht, die Verteidigerin plädierte auf Totschlag.
Es war geplant, noch heute zu einem Urteil zu kommen

Strenger, dominanter Vater

Am ersten Verhandlungstag wurde der für den unbescholtenen Angeklagten schwierige familiäre Hintergrund beleuchtet: Als einzig Hörender in der Familie hatte er im Gegensatz zu seinen beiden Schwestern das Elternhaus zeitlebens nicht verlassen. Der Vater wurde als selbstbewusst und dominant beschrieben, nach drei Schlaganfällen zunehmend gebrechlich und immer sturer. Nachdem die ihren Mann versorgende 75-Jährige zu Jahresende 2016 nach einem Treppensturz selbst gehandicapt und verwirrt war, nahm sich der Sohn Pflegeurlaub.

Eltern mit Baseballschläger getötet: Sieben Jahre Haft

Schlaflose Nacht

Er versuchte, über das Hilfswerk Unterstützung zu organisieren, wobei er befürchtete, dass der 85-Jährige Hilfe von außerhalb der Familie ablehnen würde. Nach einer weiteren nahezu schlaflosen Nacht eskalierte die Situation - die betagten Eheleute erlitten mehrere wuchtige Schläge auf die Köpfe. Eine Schwester beschrieb im Zeugenstand in Gebärdensprache den damaligen Zustand ihres Bruders mit "völliger Erschöpfung".

Am heutigen Dienstag standen noch Zeugenbefragungen, Gutachten und die Video-Vorführung der Tatrekonstruktion am Plan, ehe am Nachmittag die Schlussplädoyers beginnen sollten. Ein Urteil des Geschworenensenats sei am Abend zu erwarten, hieß es vor - verspätetem - Verhandlungsbeginn von Richterseite.

Hilfe abgelehnt

Eingangs wandte sich die Vorsitzende Richterin Birgit Borns mit ergänzenden Fragen an den Angeklagten, um seine Gemütsverfassung vor der Bluttat zu ergründen. Nach seiner Darstellung reagierte der Vater völlig uneinsichtig darauf, eine Pflegehelferin zu bekommen. "Das brauchen wir nicht", habe der 85-Jährige brüsk erklärt - und dann in der Nacht einmal aufstehen wollen, um selbstständig aufs WC zu gehen, es aber nicht geschafft, erzählte der 48-Jährige. Die Mutter sei, von ihm geführt, auf die Toilette getorkelt.

Chef des Angeklagten befragt

Am zweiten Verhandlungstag im Wiener Neustädter Prozess um einen Doppelmord Anfang Jänner in Perchtoldsdorf ist als erster Zeuge der unmittelbare Vorgesetzte des angeklagten ÖBB-Beamten befragt worden. Er beschrieb den 48-Jährigen als beruflich sehr korrekt, kollegial und hilfsbereit, privat aber eher verschlossen. Dass die Familie des Mannes gehörlos war, hatte der Zeuge nicht gewusst.

Im Zuge der weiteren Befragungen wurde deutlich, was bereits vor einer Woche angeklungen war: Der vom Angeklagten als dominant beschriebene Vater dürfte sich nach mehreren Schlaganfällen ziemlich verändert haben. Der 85-Jährige wurde als stur und aufbrausend beschrieben, sein Sohn als hilfsbereit und ruhig.

Ungeduldig, unleidlich und anstrengend

Der Lebensgefährte der zehn Jahre jüngeren Schwester sagte in Gebärdensprache aus, dass sich die spätere Tatwaffe seit mindestens sieben Jahren im Haus befunden hatte. Bei seinem allerersten Besuch habe ihm der 85-Jährige nämlich den Baseballschläger gezeigt mit den Worten, keine Angst vor Einbrechern zu haben. Der Schwiegervater habe sich zunehmend über alles aufgeregt, war "ungeduldig und anstrengend".

"Ein Tyrann"

Die Cousine des Angeklagten hatte die Familie in Perchtoldsdorf alle zwei, drei Wochen besucht. Ihre Tante habe sich beschwert, dass ihr Mann immer unleidlicher werde, erzählte die Zeugin: "Er war in letzter Zeit wirklich ein Tyrann." Den von ihr mitgebrachten Rollator ihrer verstorbenen Mutter habe der 85-Jährige zurückgewiesen. Er sei in Sachen Pflege und Betreuung völlig auf seine Frau fixiert gewesen. Diese musste ihn auch sauber machen, wenn er vom Spaziergang mit dem Hund mit "voller Hose" heimkam. Als die 75-Jährige die Hausarbeit körperlich nicht mehr schaffte, habe sie ihrer Tante geraten, endlich eine Putzfrau zu nehmen - was allerdings nicht infrage kam.

Ihr Cousin sei immer für die Eltern da gewesen, betonte die Zeugin. Als sie von der Bluttat im Radio hörte, war sie fassungslos, weil es einfach nicht vorstellbar war, dass er so etwas tun könnte.

Gemeinsames Gassi gehen

Ein 48-Jähriger hatte mit dem Angeklagten schon als Kind auf der Straße oder am Spielplatz gespielt. Er wusste, dass dessen Eltern "ganz ganz schlecht" hörten: Die Kommunikation mit ihnen sei sehr schwierig gewesen. Im Alter von 17 verlor man sich dann aus den Augen, seit der Zeuge 1993 das Haus seiner verstorbenen Großeltern übernahm, lebte der Kontakt wieder auf. Die beiden trafen einander regelmäßig beim "Gassi gehen" mit ihren Hunden. Sein Jugendfreund habe alle Entscheidungen auf seine Eltern abgestellt, dadurch aber nicht belastet gewirkt.

Auf der "Hundewiese" hatte eine weitere Zeugin den Angeklagten vor 15 Jahren kennengelernt. Er sei "wahnsinnig hilfsbereit" und "sehr verlässlich", aber "immer so introvertiert", erklärte die Bekannte. Er habe auf Befehl des Vaters stante pede Holz schlichten, Rasen mähen, diesen ins Hörstudio und die Mutter zum Einkauf chauffieren müssen. Während ihrer Spaziergänge mit den Hunden trafen SMS seiner Mutter ein, er möge heimkommen, weil der Vater schon wieder herumschreie.

"Fürchterlich geschimpft"

2015 fand die Zeugin den Senior nach einem Sturz blutend auf und wollte ihm ins Haus helfen. Als die 75-Jährige nicht gleich öffnete, habe er fürchterlich mit ihr geschimpft, schilderte sie. Nach einem weiteren Sturz auf der Straße im Vorjahr habe er "ganz wild" gesagt, man habe extra ein Loch für ihn gegraben - wen er meinte, sei nicht klar gewesen.

Dem nach seinem Anruf bei der Polizei als erster am Tatort eintreffenden Beamten kam der 48-Jährige mit erhobenen Händen entgegen und sagte "jetzt hab' ich sie endlich erschlagen. Ich kann nicht mehr." Der Mann habe extrem ruhig, emotionslos, gefasst gewirkt, schilderte der Chefinspektor.

Experten am Wort

Nach Zeugenbefragungen waren Experten am Wort. Dem psychiatrischen Sachverständigen Karl Dantendorfer zufolge lag bei dem Angeklagten keinerlei psychische Erkrankung, aber starke psychische Belastung vor.

Der Mann habe sein ganzes Leben damit verbracht, sich um andere zu kümmern, seine eigenen Bedürfnisse Tag und Nacht zurückgestellt und allen gezeigt, dass man sich auf ihn verlassen könne. "Er verzichtete immer", so Dantendorfer. Dass dadurch möglicherweise eine unbewusste innere Spannung aufgebaut wurde, sei durchaus nachvollziehbar. Ein Tropfen (der schlechte Gesundheitszustand der Mutter nach einem Treppensturz, Anm.) habe dann das Fass zum Überlaufen gebracht, ortete der Psychiater einen Zusammenbruch des gesamten Lebenskonstrukts.

Der psychologische Gutachter Wolfgang Neuwirth attestierte dem 48-Jährigen übersteigerte Hilfsbereitschaft und Unterordnung. Nach der Tat bestand Suizidgefahr. Der Mann wird nach wie vor in der Psychiatrie betreut.

Psychische Überforderung

Beide Sachverständige hätten auf die psychische Überforderung ihres Mandanten hingewiesen, betonte Verteidigerin Astrid Wagner in der Mittagspause. Die Anwältin kündigte an, auf Totschlag plädieren zu wollen bzw. außerordentliche Milderungsgründe anzuführen.

Am Nachmittag gab Gerichtsmediziner Wolfgang Denk Auskunft über die Verletzungen der Opfer. Die im Bett tot aufgefundene 75-Jährige hatte durch stumpfe Gewalteinwirkung ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Sie hatte einen offenen Schädelbruch und klaffende Wunden am Kopf. Blutunterlaufungen an den Beinen und im Gesicht rührten von dem vorangegangenen Treppensturz her, die Verletzungen an den Armen aber von Versuchen, die wuchtigen Schläge mit dem Baseballschläger - laut Denk zumindest acht - abzuwehren.

Ihr Mann, leblos halb kniend an der Bettkante gefunden, wies "ebenfalls ein massives Verletzungsbild" auf, berichtete der Gerichtsmediziner unter anderem von teilweisem Hirnaustritt und mehrfach zertrümmertem Kehlkopf. Den Blutspuren nach war es dem 85-Jährigen noch gelungen, sich nach dem ersten Angriff ein Stück vom Bett wegzubewegen, also zu flüchten. Er kassierte zahlreiche Schläge - vorne auf die Brust, auf den Hinterkopf, den Rücken.

Pflegebedürftigkeit

Zur Pflegebedürftigkeit des getöteten Ehepaares meinte Denk, diese sei aus den Zeugenaussagen hervorgegangen. Aus medizinischer Sicht könne er die erlittenen Schlaganfälle des Pensionisten bestätigen, ebenso wie u.a. erhöhten Blutzucker, Inkontinenz, Taubheit sowie eingeschränkte Geh- und Sehfähigkeit. Der Mann befand sich in Pflegestufe drei. Die 75-Jährige litt an rheumatischen Gelenksbeschwerden. Bei einem Treppensturz zu Silvester zog sie sich unter anderem eine Schädelprellung zu.

Tatrekonstruktion

Anschließend sollte den Geschworenen ein zweistündiges Video der Tatrekonstruktion im Wohnhaus in Perchtoldsdorf gezeigt werden. Es war geplant, noch heute zu einem Urteil zu kommen, was aber erst am Abend der Fall sein dürfte.