Zeitgenössische Geistesmenschen (und alle, die dafürgehalten werden wollen) erwecken gerne den Eindruck, sich für nichts so sehr zu interessieren wie für Fußball. Über Poesie kann man sich eigentlich nur noch mit Fleischhauern unterhalten („Dieses Beiried ist ein Gedicht!“), Literaturwissenschaftler erzählen einem ungefragt, sie seien von Geburt an Rote – was nicht politisch, sondern rein sportlich gemeint ist. Rot steht für den GAK. Rot bis in den Tod. Von den Schriftstellern ganz zu schweigen. Öffnen sie den Mund, kommt auch schon ein Fußball heraus.  

Die wichtigste Nebensache der Welt hat man das Balltreten früher genannt, als es noch nicht die unumstrittene Hauptsache war. Der Ball ist alles, was der Fall ist. Da gibt es keinen Rückzieher.

Der Grazer Athletiksport-Klub hat es wieder in die Bundesliga geschafft. Auch in einer entzauberten Welt geschehen noch Wunder! Wer außer seinen vor Anhänglichkeit blinden Anhängerinnen und Anhängern hätte das vor zehn Jahren geglaubt? Nach vier Konkursen, dem Platzsturm zu Hartberg und der Herabstufung zum Grazer Amateurklub?

Der GAK galt in den alten Zeiten, als das Daumendrücken noch geholfen hat, als Truppe von Technikern, vielleicht weniger durchschlagskräftig als der ruppige Stadtrivale Sturm, aber virtuoser am Ball. Ein seinem Ruf nach „bürgerlicher“ Verein, was das Publikum auf den Rängen betraf, während Sturm als Arbeiterverein antrat. Parfüm statt Schweiß. Aber das stimmt schon lange nicht mehr, wenn man die Siegesfeiern der Fans als Maßstab nimmt. Die soziale Durchmischung macht den Fußball zu einer demokratischen Veranstaltung. Hooligans gibt es bei beiden Vereinen.

Was folgt nach diesem beispiellosen Durchmarsch von der untersten Liga bis zur höchsten Spielklasse? Eine Steigerung kann nur der zweite Meistertitel sein. Aber die Klubgeschichte des GAK ist eine Geschichte von Kämpfen um den Klassenerhalt. Man stieg ab, um wieder aufzusteigen. Berauschende Vorstellungen wechselten mit stilvollen Niederlagen, dann der langersehnte Meistertitel, der einen kurzen, trügerischen Höhepunkt markierte, denn im Triumph lag schon der Keim zum Niedergang. Man hatte für den Titelgewinn teure Spieler engagiert, wie es auch bei anderen Vereinen gang und gäbe war und ist. (Die Phantasiegagen von motorisch talentierten, modisch frisierten Werbeträgern, die vielleicht dreimal in einem Spiel aufs Tor schießen und es meist verfehlen, sind ein Thema für sich.) Warum der GAK für dieses branchenüblich riskante Management, bei dem Funktionäre mit einem Bein im Kriminal stehen, härter bestraft wurde als beispielsweise Sturm, können auch neutrale Beobachter nicht verstehen. Aber durch finanzielle Probleme allein ist der tiefe Fall nicht zu erklären. Nach 2004 gab es vielleicht nichts mehr zu beweisen. Wenn erst einmal die Luft draußen ist, schrumpft das Leder.

Es ging schnell abwärts. Ein anderer Verein hätte seine Anhängerschaft verloren. Nicht so der GAK. Und darum beneiden ihn, wie man hört, auch gegnerische Mannschaften. Fan sein heißt leiden. Leidet schon der gewöhnliche Fanatiker so sehr an der Welt, dass er sich ganz in ein Detail verbeißt, das ihn das große Ganze vergessen lässt, so gibt der echte Vereinsanhänger beim Eintritt ins Stadion bis zu einem gewissen Grad seinen Realitätssinn ab. Wer „seinen Verein“ spielen sieht, sieht ein Gespinst aus Erinnerung und Wunschdenken, keine Mannschaft, sondern ein Konstrukt.

Es kann familiäre Gründe geben, sein Herz an einen Klub zu hängen. Das ist dann quasi genetisch bedingt. Aber auch eine blitzartige Eingebung kann einen zum lebenslangen Fan machen, wird mir glaubhaft versichert. Dafür ist keine vernünftige Erklärung zu finden, das ist in tiefsten Bewusstseinsschichten verborgen. Ähnlich unergründlich wie Spontanheilungen. Auch wenn es sich um eine eher harmlose Infektion handeln dürfte. Man geht zum Kick wie andere zur Sonntagsmesse. Wer von seinem Verein abfällt, etwa vom GAK zu Sturm wechselt – solche Fälle sind mir bekannt – , muss sich neue Freunde suchen.

Nach der schmachvollen Degradierung wegen Insolvenz und Verstößen gegen Linzenzbestimmungen begann 2014 der lange Weg zurück. Von einem „Kreuzweg“ spricht Kurt Gaulhofer alias Krawauli, der Urheber einer GAK-Hymne, in der ein roter Teufel mit rotem Glanz in den Augen auf dem Rasen tanzt: „Immer kann man nicht gewinnen/ doch es gibt ein großes Ziel.“ Zu Auswärtsspielen konnten ortsansässige Fans in der 1. Klasse Mitte A manchmal mit der Straßenbahn fahren. Etwa nach Mariatrost zum Meisterschaftsspiel gegen den SV Weinitzen. Aber die Stimmung soll bestens gewesen sein, auch konnte man Orte in der Steiermark kennenlernen, von denen man noch nie gehört hatte.

Einige meiner besten Freunde sind GAK-Anhänger. (Ich selber kann Mannschaftssportarten weniger abgewinnen. Sport heißt für mich ganz archaisch Mann gegen Mann, Frau gegen Frau. Oder ein Kampf eines Einzelnen gegen die Zeit.) Warum neigen gerade Künstler eher zum GAK als zu Sturm? Vielleicht ist es die stilistische Finesse, die den GAK seit 1902 angeblich auszeichnet. Ästhetisch am Fußball kann die Eleganz von Körpertäuschungen, die Intelligenz oder schlafwandlerische Intuition von überraschenden Spielzügen sein – die Blutgrätsche definitiv nicht.

„Hollywoodreif“ finden Sportreporter den wundersamen Aufstieg des Traditionsklubs. Und an eine Verfilmung lässt sich wahrlich denken. Das „Wunder von Bern“ ist dagegen ein Lercherl. Als erste Einstellung sieht man den Kopf des Vereinspräsidenten in einem Schraubstock stecken. Dubiose Geldgeber wollen ihren Einsatz mit Zins und Zinseszins zurück. Widerstrebend rückt der Präsident ein paar Zerquetschte heraus. Schnitt zum Training in der Körösistraße. Die Spieler rauchen gelangweilt und nuckeln an Bierflaschen. Da erscheint der neue Trainer Wunderwutzi, einen Strahlenkranz um sein Haupt. „Ich habe einen Traum“, strahlt er, „wir werden jetzt einfach jedes Spiel gewinnen. Dann sind wir in zehn Jahren wieder dort, wo wir hingehören.“ „In Weinzödl?“ fragt ein Spieler. Wunderwutzi rammt ihn ungespitzt in den Rasen. Damit verschafft er sich Respekt. Im Zeitraffer sieht man das Team Liga um Liga höherklettern. Dazwischen gibt es Nebenhandlungen, die das nicht unkomplizierte Seelenleben der Ballesterer zwecks leichterer Identifikation ausbreiten. Der Mittelstürmer kann seine Verlobte nicht von einer Fahnenstange unterscheiden. Der Tormann hält furchtlos jeden Elfmeter, schießt aber immer wieder den Abstoß ins eigene Tor. Der Mittelfeldregisseur möchte endlich die Oper „Der Freischütz“ inszenieren. Und so weiter, und so fort. Ein Blockbuster, keine Frage.

Peter Handke hat in seinen frühen Grazer Jahren in einem Essay behauptet, der Fußball habe eine Seele. Am schönsten sei der Moment des Anstoßes, wenn der Ball noch im Mittelfeld liegt: „Alle halten den Atem an und schauen.“ Sicher hat er diese Wahrnehmung bei einem Spiel des GAK gemacht.

Der GAK kehrt nach 17 Jahren in die Bundesliga zurück
Der GAK kehrt nach 17 Jahren in die Bundesliga zurück © GEPA