Der Prozess um einen tödlichen Schuss im Zuge eines missglückten Geldgeschäfts in einer Wiener Druckerei in Simmering ist am Mittwochabend am Straflandesgericht mit einem Schuldspruch wegen Mordes zu Ende gegangen. Der 35-jährige Iraner, der bei einer Überweisung für einen Landsmann 7.000 Euro unterschlagen und, als dieser das Geld zurückverlangte, den Mann erschossen haben soll, wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

Die Geschworenen entschieden in ihrer zweistündigen Beratung mit 6:2 Stimmen für das Verbrechen des Mordes und gegen eine grob fahrlässige Tötung. Mildernd wurde die Unbescholtenheit des Mannes gewertet. Der hinterbliebenen Witwe wurden mehr als 23.000 Euro Schmerzensgeld sowie die Begräbniskosten zugesprochen.

Verwicklungen und Widersprüche im Prozess um tödlichen Schuss

An den beiden Verhandlungstagen stand vor allem die Frage im Raum, wie es zu dem tödlichen Schuss gekommen sei. Die Staatsanwältin sprach von einem vorsätzlichen Tötungsdelikt. Der Angeklagte argumentierte jedoch, zuerst mit der Waffe bedroht worden zu sein und sich lediglich gewehrt zu haben. Bei einem Gerangel hätte sich der Schuss gelöst. Er bekannte sich weiterhin für nicht schuldig. Unklar ist bis heute, wem die Waffe gehört, da Produktionsnummer und die Beschusszeichen an der Pistole herausgebohrt wurden. Und es blieb auch bis zuletzt undurchsichtig, wie genau das Geldgeschäft zustande gekommen sei, da der Beschuldigte eine andere Version erzählt, als die Ehefrau des Getöteten.

Der Angeklagte - vertreten von Anna Mair (Kanzlei Astrid Wagner) und Amir Ahmed (Kanzlei Sommerbauer Dohr) - betrieb in Simmering die Druckerei und eine Werbefirma. Im Herbst 2022 wuchsen ihm laut Staatsanwaltschaft die Schulden über den Kopf. Die letzten Mieten bzw. Leasingraten für seinen Audi Q5 konnte er dann nicht mehr begleichen. Im Frühjahr 2023 borgte er sich immer wieder bei Bekannten Geld aus - erst im März 2023 waren es 12.000 Euro - oder kassierte von seinen Kunden Geld, obwohl er keine Leistung erbrachte.

Die Verteidigung des Mannes dementierte, dass ihr Mandant so hohe Schulden gehabt habe. Er sei selbstständig tätig gewesen und aufgrund von Geschäften habe es lediglich einige Verbindlichkeiten gegeben. Deshalb würde auch das Motiv für einen Mord fehlen. Bei dem tödlichen Schuss habe es sich um einen Unfall gehandelt, deshalb plädierte die Verteidigung auf fahrlässige Tötung infolge eines Gerangels.

Vertrauensbruch und Geldstreit

Im Mai lernte er über einen Telegram-Kanal das spätere Opfer (38) und dessen Frau kennen. Das Ehepaar stammte ebenfalls aus dem Iran, lebte in Kärnten und wollte mithilfe des 35-Jährigen Geld in ihre Heimat überweisen. Aufgrund des weltweiten Embargos gegen den Iran sind Auslandsüberweisungen auf offiziellem Weg nicht möglich. Es ist daher üblich, Geldgeschäfte über das sogenannte Hawala-System abzuwickeln. Hawala heißt auf Arabisch so viel wie Wechseln oder Überweisen. Das System basiert auf Vertrauen. Dabei geht es nicht um das direkte Transferieren von physischem Geld, sondern um das Übertragen einer Schuld.

Ab da unterschieden sich die Angaben des Angeklagten mit jenen der Ehefrau des Getöteten als einzige unmittelbare Zeugin. Sie berichtete dem Schwurgericht (Vorsitz: Christina Salzborn), der 35-Jährige hätte einen Betrag in der Höhe von 33.000 Euro von dem Ehepaar annehmen sollen, der für den Bruder des Opfers im Iran gedacht war. Dazu hätte die Familie des 35-Jährigen wiederum im Iran diesen Betrag an den Bruder weiterleiten müssen. Der 35-Jährige behauptete demgegenüber, dass nicht die beiden, sondern er über das Ehepaar Geld in den Iran hätte schicken wollen, um in sein Geschäft in Wien zu investieren.

Für das Geldgeschäft wurde zunächst ein Treffen am 6. Mai in der Druckerei des Beschuldigten vereinbart. Da diese „Überweisung“ im Iran nicht bestätigt wurde, wurde für den nächsten Tag ein neuerliches Treffen vereinbart. Am 7. Mai hätte das Geldgeschäft finalisiert werden sollen, zumindest gab das der 35-Jährige gegenüber dem Ehepaar an. Während die Männer mit den jeweiligen Verwandten in ihrer Heimat telefonierten, soll die Ehefrau des Opfers dem Beschuldigten die 33.000 Euro überreicht haben, die er in einer Lade verstaute. Doch wieder kam das Geldgeschäft nicht zustande, die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der 35-Jährige den Handel nur vortäuschte, um an den hohen Geldbetrag zu kommen.

„Mein Ehemann sagte zu mir, ihm komme der Mann so verdächtig vor“, sagte die Ehefrau des Opfers unter Tränen. Daraufhin verlangte der 38-Jährige sein Geld zurück. Der Angeklagte zeigte sich plötzlich sehr verärgert und habe gemeint: „Habt ihr kein Vertrauen zu mir?“, so die Zeugin. Als das Ehepaar nachzählte, waren nur noch 26.000 Euro in der Lade. Der Beschuldigte dürfte in der Zwischenzeit an der Hintertür mit den 7.000 Euro einen Teil seiner Schulden bezahlt haben.

Tragisches Ende einer Geldforderung

Der 38-Jährige verlangte mehrfach sein Geld und der 35-jährige Druckereibetreiber vertröstete ihn immer wieder. Zunächst meinte er, er werde es von dem Mann, dem er das Geld gegeben habe, wieder zurückholen, aber er könne ihn angeblich nicht mehr erreichen. Danach versprach er, das Geld von Zuhause zu holen. Das Ehepaar saß längere Zeit im Geschäft und wartete.

Plötzlich soll der Druckereibesitzer laut Aussage der Frau nach der Waffe gegriffen, gelächelt und auf den 38-Jährigen gezielt haben. Dann fiel der Schuss. Der Ältere packte den 35-Jährigen noch am Kragen, es kam zu einem Gerangel, ehe der Mann zusammenbrach und an einem Brustdurchschuss verstarb. „Ich war voll Blut und ich wusste nicht, wie das passiert ist“, sagte die Ehefrau, deren Befragung aufgrund der Traumatisierung unterbrochen werden musste. Der 35-Jährige hätte sie noch gepackt und in das Hinterzimmer schleifen wollen. „Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Füße. Ich war wie erstarrt“, sagte die Frau. Sie ergriff noch ein Visitenkartenstanz und schlug es dem 35-Jährigen auf den Kopf. Erst als eine Passantin durch die Scheibe blickte, ließ er von ihr ab und flüchtete. Die Ehefrau rannte in blutverschmierter Kleidung auf die Straße und schrie um Hilfe. Der 35-Jährige wurde zwei Stunden später festgenommen. „Ich träume jede Nacht davon“, sagte die Ehefrau.

Die Verteidigung stützte sich in dem Verfahren vor allem auf die Ungereimtheiten, die bei Untersuchungen von DNA und Schmauchspuren zutage kamen. Laut einer Schmauchspurexpertin aus dem Bundeskriminalamt kann nicht mehr klar gesagt werden, wer den Abzug der Tatwaffe der Marke Walther betätigt hatte, weil auch am Ärmel und der Jacke des Opfers Schmauchspuren gefunden wurden. Die Schussabgabe des Angeklagten sei „wahrscheinlicher“, so die Expertin, allerdings muss sich das Opfer in unmittelbarer Nähe befunden haben, was auf das vom Beschuldigten erwähnte Gerangel hindeuten würde. „Da kommt die (Untersuchungs-, Anm.) Methode an ihre Grenzen“, sagte die Schmauchspurexpertin im Zeugenstand.

Allerdings wurden weitere Schmauchspuren an der Kleidung des Toten sonst nicht gefunden, wie es bei einer Kontaminierung durch das Tragen einer Pistole eigentlich üblich ist, sagte die Expertin. Auch wenn eine Waffe noch so gut gereinigt sei, „da bröselt immer was raus“. Somit konnte der 38-Jährige die Waffe nicht eingesteckt und zu dem Treffen mitgebracht haben. Der Beschuldigte hatte jedoch Schmauchspuren auch in den Taschen seines Sakkos.

DNA-Analyse und Waffenherkunft

Auch die DNA-Spuren auf der Waffe haben kein klares Bild gezeigt. Die Sachverständige für DNA-Spuren, Christina Stein, fand auf der Magazinseite - also im Inneren der Waffe - nur Spuren des Opfers. Die Verteidigung argumentierte, dass dies darauf hindeute, dass die Pistole dem 38-Jährigen gehörte und er im Vorfeld mit dem Magazin hantiert haben müsse. Die Staatsanwaltschaft ging wiederum davon aus, dass das Magazin im Zuge der Vorkommnisse einmal auf den Boden gefallen sein müsse, da sich am Boden eine nicht abgefeuerte Patrone befand. Dass im Zuge dessen eine Patrone aus dem Magazin gefallen sei, wurde auch durch den Schusssachverständigen Manuel Fließ untermauert. Dabei hätte der 38-Jährige „im Todeskampf“ nach dem Magazin gegriffen haben, so die Anklägerin.

Am Abzug der Waffe war wiederum eine Mischspur von Opfer und Täter, wobei die Spur des ersteren stärker ausgeprägt war. Am Griff und am Schlitten wurde die DNA von beiden Männern gleichermaßen sichergestellt. Auch die Behauptung, dass sich bei der Rangelei ein Schuss gelöst hätte, konnte durch den Schusssachverständigen Fließ widerlegt werden. Zwar war die Waffe beschädigt, aber dennoch konnten bei Tests ein Schlagen gegen die geladene Pistole, heftiges Schütteln oder ein Fallen-Lassen einen Schuss nicht auslösen.

Die Herkunft der Waffe konnte bis heute nicht mehr zurückverfolgt werden, da alle Identifikationsnummern entfernt wurden. Die Ehefrau beteuerte, dass ihr Mann keine Waffe zu dem Treffen mitgebracht hätte. Für diese Version spricht, dass Patronen der Walther Monate vor der Tat bei einem Fall von Sachbeschädigung in Simmering sichergestellt worden sind. Da wurde ein Solarpanel einer Firma beschossen. Das Ehepaar lebte jedoch in Kärnten und der Angeklagte in Simmering.