Diyani Dewasurendra kann gerade keine Musik hören. Sie saugt die Stille auf. Bei lauten Geräuschen schreckt sie zusammen, erzählt die 40-Jährige. In ihren Ohren hallt immer noch das Dröhnen der Kampfjets. „Die Boten für die nächste Bombe“, wie sie Dewasurendra nennt.

Seit dem vergangenen Wochenende ist die Ärztin aus Kärnten wieder zu Hause. In Sicherheit. Die letzten vier Monate war sie in Gaza. Für die Organisation Ärzte ohne Grenzen Österreich mit dem Auftrag, eine Notaufnahme außerhalb des Spitals aufzubauen. Weil die Krankenhäuser immer überlaufen waren. Nun platzen sie aus allen Nähten. Seitdem Krieg in Nahost herrscht.

Amputationen ohne ausreichende Betäubung

Die Reaktion Israels auf den Angriff der radikalislamischen Terrororganisation Hamas trifft die Zivilbevölkerung in Gaza mit voller Wucht. Von Tausenden Verletzten und Toten ist vonseiten Ärzte ohne Grenzen die Rede. Dewasurendra spricht von einer „Katastrophe“. „Es geht um von Explosionen verletzte Erwachsene und Kinder mit Verbrennungen, um chronisch kranke Menschen, um Krebspatienten, um Schwangere, die keine Standardversorgung mehr bekommen können.“ Laut Ärzte ohne Grenzen müssen Amputationen ohne ausreichende Betäubung durchgeführt werden. Es mangle an allem: nicht nur an Medikamenten, auch an Lebensmitteln und Trinkwasser.

Die Ärztin im Video:

Dewasurendra und ihr Team – 22 Menschen, darunter Chirurgen und Notfallschwestern – mussten innerhalb von Gaza fünf Mal umziehen. „Weil kein Ort sicher war und ist. Die Bomben fallen ohne Pause.“ Die 40-Jährige erzählt von Massen an zusammengepferchten Menschen, fehlenden Sanitäranlagen. „Im Community Center waren über 45.000 Menschen mit nur 14 Toiletten und drei, vier Duschen, glaube ich.“

Die Helfenden wurden selbst zu Flüchtenden. „Wir waren völlig hilflos“, beschreibt es die 40-Jährige. Einem Kind mit Verbrennungen, das einen einfachen Verband brauchte, habe sie nicht helfen können. Ihr eigenes Reservoir an Schmerzmitteln war schnell verteilt und aufgebraucht. „Wir haben mit den Menschen mitgelitten. Wir haben Kollegen verloren oder mitangesehen, wie sie Familienmitglieder aus den Trümmern ziehen.“

Das Team war auf die Hilfe der einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen angewiesen. „Sie haben uns versorgt, waren an unserer Seite, ohne sie wären wir verhungert und verdurstet“, sagt Dewasurendra. Lebensmittel und Wasser mussten rationiert werden. „Wir haben versucht, uns gegenseitig mental stark zu halten.“

Evakuierung mit Hilfe

Am 1. November wurden die gebürtige Kärntnerin und ihr Team dann um vier Uhr in der Früh geweckt: „Es hieß, jetzt geht es los“, erinnert sich Dewasurendra. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen hat „die schwierige Entscheidung getroffen, alle internationalen Mitarbeiter zu evakuieren“, sagt Laura Leyser, Chefin der österreichischen Organisation.

Das Verabschieden und Zurücklassen der Menschen vor Ort war „das Schwerste und Schlimmste“, sagt Dewasurendra. „Ein Kollege, der mit uns an der Grenze gestanden ist, hat kurz darauf seine Familie bei einer Explosion verloren.“ Die Ärztin beginnt zu weinen, als sie das erzählt. Etwa 300 Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen sind laut Leyser noch in Gaza. „Sie sind bedingungslos für ihre Patienten da“, betont Dewasurendra.

Die Ausnahmesituation wirkt bei ihr noch nach. Nicht nur die Kampfjets haben sich eingeprägt: „Ich träume von Datteln, weil sie eines der wenigen Dinge zum Essen waren. Neben Keksen, Pringles und Dosenfleisch. Und ich schlafe mit angezogenen Knien, weil ich zehn Tage lang im Vordersitz von einem Auto geschlafen habe.“ Viel wichtiger ist es der Ärztin aber, auf die Situation der Menschen vor Ort aufmerksam zu machen: „Wir sind in Sicherheit, bei mir Zuhause in Velden am Wörthersee regnet es keine Bomben. Aber unsere Ärzte und Pfleger sind es nicht und unsere Patienten sind es schon lange nicht.“ Diyani Dewasurendra möchte irgendwann nach Gaza zurückzukehren und helfen.