Aus demokratiepolitischen Gründen ist der SPÖ baldige Genesung zu wünschen. Das Land braucht die Partei als relevante Kraft und nicht als Pflegefall. Sie sollte die erste Geige im Orchester der Opposition spielen, aber das Instrument ist verstimmt. Christian Kern hat Mühe, in die Sprache und in die Rolle zu finden. Er ringt mit ihr mehr als mit Türkis-Blau. Die SPÖ wirkt noch immer benommen vom Verlust der Kanzlerschaft und der Teilhabe an der Regierung. Das ist nicht gesund für das Parallelogramm der Kräfte.

Verloren hat die SPÖ die Wahl in der Migrationsfrage. Sie zielte vorbei am Nerv der Leute. Dem ging eine ruinöse Selbstkorrektur voraus, denn Kern hatte beim Eintritt in die Politik der Partei einen neuen Pragmatismus verordnet. Aus der Mitte ließ sich Kern dann von den Herausforderern ans andere Ufer locken. Jetzt will er sich aus der Falle befreien. Zurück bleiben Schrammen eines Wankelmütigen. Der neue Wiener Bürgermeister ist da aus anderem Holz. Gestern kündigte Michael Ludwig eine „Hausordnung“ für die ganze Stadt und das Zusammenleben in ihr an. Das ist eine neue Tonlage, auch wenn Kern es leugnen mag. Die Brösel sind programmiert.
Eineinhalb Jahre nach dem klugen, wirtschaftsfreundlichen Plan A hat der SP-Chef seinerseits die Leitplanken neu justiert, und zwar deutlich nach links. Die klassenkämpferische Attitüde aus dem Wahlkampf ist wieder da. Sie war schon damals keine gute Idee, weil sie mit dem, was Kern verkörpert, nicht wirklich harmoniert.

Christian Kern, der zwei Konzernen vorstand, kam als Manager und wurde messianisch begrüßt. So groß war die Not. Er wollte das Land sanieren und vom Pannenstreifen holen. Mit den Rösselsprüngen beim Freihandel begann der Verrat an der Marke. Als Robin Hood, der den Begriff Großkonzern fortan als Schimpfwort verwendete, verhöhnte er sie. Jetzt verschriftlicht Kern die Verhöhnung.

Klassenkämpfer brauchen ein proletarisches Aroma von unten. Gusenbauer hatte es trotz hedonistischer Lebensführung. Doskozil und Ludwig haben es. Kern nicht. Das ist kein Makel.
Kern kommt von unten und erklomm die Chefetagen. Seine Biografie trägt die Signatur eines Aufsteigers, sie widerlegt die Kernthese jedes Klassenkämpfers: dass die Gesellschaft strukturell ungerecht und undurchlässig sei. Kern ist kein Robin Hood, eher steht er in der Tradition eines Vranitzky, mit Loft und ohne Golfhandschuhe.

So aber will Kern wer sein, der er nicht ist. Er ist das Gegenteil eines klassenkämpferischen Oppositionellen. Er weiß, dass das System Österreich erneuert werden muss, und gibt den Patron der Kassen. Er weiß, dass die Möglichkeit, notfalls zehn Stunden zu arbeiten, keine Entmenschlichung ist, wenn man dafür das Wochenende streckt. Er weiß, dass man Anreize richtig setzt, wenn man das Arbeitslosengeld zu Beginn anhebt und später abflacht. Gegen all das wettert Kern, weil er jetzt links ist. Das ist dort, wo noch nie jemand im Land eine Wahl gewonnen hat.