Es ist nicht schwer, in Russland jemanden zu finden, der traurig ist über den Untergang der Sowjetunion. Einen bescheidenen Wohlstand habe man gehabt; jeder einen Arbeitsplatz; man sei „noch jemand gewesen“ in der Welt. Meist sind es alte Babuschkas, die sich daran erinnern und die trauern. Dazu natürlich Wladimir Putin, der den Satz prägte, der Zerfall der Sowjetunion sei die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen“. Ihn bedrückte die entstandene Unabhängigkeit der Nachbarstaaten – die Russland damals anerkannte – mehr als der Holocaust oder der Holodomor, die von Sowjetherrscher Stalin 1932 herbeigeführte Hungersnot, bei der fünf bis acht Millionen Menschen ums Leben kamen, überwiegend Ukrainer und auch Kasachen.

Man sollte meinen, Putin lasse heute die Korken knallen und das Land den 100. Gründungstag der Sowjetunion feiern. Doch dem ist nicht so.

Obwohl der Kreml-Chef den Feldzug gegen die Ukrainerinnen und Ukrainer oft mit der Wiederherstellung sowjetischer Größe in Zusammenhang brachte, gibt es weder in Russland noch in den einstigen Sowjetrepubliken viel zu feiern, von denen viele schon damals die Union als Zwangsehe erlebten. Jetzt wächst angesichts der russischen Invasion in der Ukraine das Misstrauen gegen Moskau. Mit jeder Niederlage leidet zudem Moskaus Ruf als Ordnungsmacht im postsowjetischen Raum.

Vermerkt sei, dass Putins Vision von der UdSSR nichts zu tun hat mit Sozialismus, mit Ideen von sozialer Gleichheit oder der klassenlosen Gesellschaft. Die Kommunisten spielen in Putins Russland keine Rolle mehr. An der Macht ist eine Clique, die einen staatlich dirigierten Raubtierkapitalismus verfolgt, der einigen wenigen enorme Reichtümer einbringt.