Ob man jetzt Delphin schreibt oder Delfin, ob Leid tun, leidtun oder leid tun, ob man Bankrott geht oder bankrott geht, ob man Stängel oder Stengel verwendet – man könnte meinen, diese Fragen seien sekundär. Wer sich jedoch noch an den Kulturkampf erinnert, der vor einem Vierteljahrhundert von der Rechtschreibreform ausgelöst worden war, wird die Angelegenheit anders bewerten. Fragen wie die, ob man "daß" oder "dass" schreiben muss, trieben selbst Honoratioren auf die Barrikaden, es gab den üblichen Politstreit, in Deutschland kam es sogar zu Volksabstimmungen und Verfassungsklagen.

Peter Handke empfindet einen falsch gesetzten Beistrich in einem seiner Texte angeblich als Anschlag auf seine literarische Existenz. Der Makel, der Texten wegen ihrer Rechtschreibfehler anhaftet, ist auch weit kleineren Schreibern als dem Literaturnobelpreisträger allzu gut vertraut. Etwa Journalistinnen und Journalisten. Und sie bekommen es auch zu spüren: Leserinnen und Leser empören sich gerne beim (ohnehin zerknirschten) Redakteur, wenn wieder einmal ein Fehler durchgeschlüpft ist.
Man kann sich dieses Phänomen wahrscheinlich nur damit erklären, dass Sprache und das Ich so eng miteinander verknüpft sind, dass hier selbst die scheinbar geringste Nebensächlichkeit keineswegs unwichtig ist. Es gibt eine philosophische Schule, die davon ausgeht, dass außerhalb der Sprache keine Welt existiert. Auch wenn das nicht stimmen mag, so genommen ist es kein Wunder, dass Sprache für uns nicht nur das Tor zur Welt ist, sondern auch unsere Persönlichkeit, unser Wesen formt und bestimmt. Sie definiert bis zu einem gewissen Grad auch unsere Erscheinung, sie markiert, woher wir kommen, manchmal sogar, welchem Milieu wir entstammen.

Kein Wunder, dass die Leute sehr empfindlich auf Sprach- und Schreibänderungen reagieren und eher zu einem Konservativismus neigen: Man sieht dies als Eingriff ins Persönliche, was es ja auch tatsächlich ist und man ist tief skeptisch gegenüber jeder Veränderung.
Die Kulturkämpfe um die Sprache in Schriftform dauern deshalb bis heute fort, etwa beim Gendern. Man wünschte den Leuten hier mehr Gelassenheit und eventuell auch den guten Willen, Optionen einfach nebeneinander stehen lassen zu können. Es braucht keine Regelungen bis ins kleinste Detail, es braucht vielleicht auch keine letztgültigen, unumstößlichen Normen. Die Querelen um die Rechtschreibreform haben gezeigt, was passiert, wenn ein paar Expertinnen und Experten die Dinge komplizierter machen, als sie sind.

Aber ungeachtet all dessen: Sprache ist nicht nur etwas Persönliches, sondern etwas Gemeinschaftliches. Sie ist auch nicht Eigentum jener, die alle Regeln beherrschen. Sprache verändert sich ständig, auch das Regelwerk ändert sich allmählich. Sprache erfordert von ihren Sprechern Flexibilität und Offenheit und nicht bloß das Beharren auf dem Status quo.