Neulich gab es bei uns im Newsroom Fehlalarm. Auf der Conrad von Hötzendorf-Straße vor dem Styria Media Center staute es sich, und plötzlich hieß es, 200 Meter weiter oben hätten sich Klimaaktivisten auf die Fahrbahn geklebt. Neugierig eilten wir zum Fenster und schauten suchend hinaus. Doch rasch stellte sich heraus, dass wir nur auf den täglichen Wahnsinn in Blech hinabblickten.

Als wir vor ein paar Tagen
in unserer Redaktionskonferenz dann darüber diskutierten, ob der Begriff Klimakleber zulässig sei, musste ich mich unweigerlich an diese Szene erinnern, daran, wie wir gleichsam vom Hochsitz unserer Redaktion in die Rushhour hinabgespäht hatten. Der Standort bestimmt halt den Standpunkt, dachte ich mir in einem Anflug von Sarkasmus. Aber dann verkniff ich mir jeden Spott.

Vor allem jüngere Kolleginnen und Kollegen meinen, der Begriff Klimakleber sei abwertend und bagatellisiere die so dringliche Agenda der Aktivisten, ihren Idealismus und ihre Verzweiflung.

Sprachliche Sensibilität ist für guten Journalismus unerlässlich. In einem Klima steigender gesellschaftlicher Polarisierung zählt ein fast philologisches Interesse am Wort zu den wichtigsten Instrumenten, um Fake-News, Vereinfachungen und Demagogie wirksam zu entlarven.

Im konkreten Fall halte ich die Bedenken aber für unangebracht, da mit dem Begriff keinerlei Wertung verbunden ist. Es handelt es sich um eine nicht sonderlich gelungene Wortneuschöpfung, die das zentrale Bestreben der Klimaaktivisten mit ihren zweifelhaften Methoden verbindet. Auch kann ich mich an keinen Fall erinnern, wo sich ein Klimaaktivist, der ein Gemälde  mit Gazpacho überschüttet und sich daran festgepickt hat, darüber beschwert hätte, als Klimakleber bezeichnet zu werden. Warum also päpstlicher sein als der Papst?

Dass Journalistinnen und Journalisten für eine Sache Partei ergreifen, halte ich für essenziell. Ohne diese Parteinahme, ohne das berühmte „J’accuse“ von Émile Zola in seinem in der Tageszeitung L’Aurore veröffentlichten Brief an den Präsidenten der Französischen Republik wäre Alfred Dreyfus als Opfer eines antisemitisch motivierten Justizskandals elendiglich auf der Teufelsinsel zugrunde gegangen. Ohne publizistische Parteinahme gäbe es kein AKW-freies Österreich, die wunderbare Grazer Altstadt wäre in weiten Teilen zerstört und die Nockberge in Kärnten wären verbaut.

Doch in meinem Verständnis heißt seriöser Journalismus bei aller Leidenschaft für eine Sache doch auch, die Totalidentifikation mit ihr zu vermeiden und eine gläserne Barriere zwischen sich selbst und die Dinge zu schieben, auch jene, für die man brennt. Es gab nicht wenige Situationen, in denen ich diese Distanz bedauert habe. Aber die geistige Freiheit, die ich mir dadurch bewahrt habe, hat mich voll entschädigt.

Selbst wenn ich das Grundanliegen der Klimakleber unterstütze, bereiten mir ihr apokalyptischer Ton und ihre brachialen Methoden Unbehagen. Beides trägt das Fanatismus-Gen in sich. Beides nützt sich eher früher als später ab. Um Aufmerksamkeit zu erregen, müssen immer drastischere Mittel gewählt werden, und ich frage mich, was auf zugeschüttete Gemälde, zornige Morgenpendler und platte Autoreifen als nächstes folgen wird. Denn wovor muss man noch zurückschrecken, wenn im Weltuntergang alles seine Gültigkeit verliert?

Das berechtigte Anliegen der Klimakleber, ihren Kampf gegen die menschengemachte Erderwärmung mitzutragen und gleichzeitig zu verdeutlichen, dass der Zweck eben nicht die Mittel heiligt, ist kein leichtes Unterfangen. Aber in der Differenzierung sehen wir als Kleine Zeitung unsere Aufgabe.

Es geht um die Zwischentöne. Um sie wollen wir uns weiterhin bemühen, verspricht mit herzlichen Grüßen Ihr

Stefan Winkler