Nur gute Erinnerungen an Finnland, Sie auch? Die Natur, das Licht, die Pubs in Helsinki mit den mächtigen Bücherwänden. Erst wählten Gäste ihr Buch aus, dann das teure Bier. Die multimedialen Bibliotheken in den Städten, damals schon, Gratis-Hotspots für die Jungen, die Bücherbusse draußen im Land, alles Zeichen und Bilder, die den selbstverständlichen Wert von Bildung illustrierten. Wie gut und authentisch das Englisch der Jungen klang, spielerisch angeeignet durch die englischen Untertitel der Filme. Als Zeitung war der Kompass früh auf die nordischen Länder ausgerichtet, die Studienreisen zu den transformierten Medien, und immer wieder das Erstaunen darüber, wie souverän die Gesellschaft die Vorzüge der Digitalisierung zu nutzen wusste, erkennbar schon bei der Ankunft an den Flughäfen, und, ganz generell: wie leichtfüßig die Gesellschaft mit Veränderung und neuer Technologie umging und die Älteren dabei nie zurückließ.



Mitnehmen, ein Schlüsselwort in den Begegnungen, auch bei den Besuchen in den Schulen. In Erinnerung Beteuerungen, die wie Glaubenssätze daherkamen: „Wir sind nur fünf Millionen. Wir können uns nicht leisten, unsere Kinder im Schulsystem nach unten durchzureichen, durchfallen, solche Begriffe kennen wir nicht. Wir wollen alle an Ziel bringen.“ Spürbar: das hohe Ansehen der Pädagogen, auch von ihnen Bekenntnisse, jetzt noch im Ohr: „Wir haften für unsere Kinder und ihr Fortkommen. Das ist unser Selbstverständnis. Wir delegieren die Verantwortung an keine Nachhilfe. Das wäre gegen unser Ethos.“ Nachhilfe, in Finnland kein Industriezweig.

Und jetzt die vielleicht spektakulärste Transformation, durch die das selbstbewusste Land hindurchgeht: der Abschied von der geschichtlich geprägten Kultur der Rücksichtnahme und Unterordnung, was das Verhältnis zum Nachbarn Russland betrifft. Der jähe Abschied von der sicherheitspolitischen Grundannahme, dass materialisiertes Vertrauen und wirtschaftliche Verflechtung ein belastbares Sicherheits- und Beziehungsnetz für ein allianzfreies Land seien. Die nüchterne Erkenntnis, dass dieses Konzept nach dem Überfall Russlands auf die benachbarte, vorneutrale Ukraine nicht mehr trägt. Auch hier: Erstaunlich, mit welchem Pragmatismus, in welcher Rasanz und wie ideologiefrei Finnland diese historische Neuvermessung vorgenommen hat, bis hin zum gestrigen Tag, als der Staatspräsident und die Regierungschefin das Ansuchen um einen Beitritt zum westlichen Verteidigungsbündnis bekräftigten. Es ist ein radikal emanzipatorischer Schritt gegenüber Russland, der sich in einer bemerkenswert direkten Äußerung des Staatsoberhauptes an die Adresse Moskaus spiegelte: „Sollten wir der Nato beitreten, dann ist meine Botschaft an Russland: Das habt ihr verursacht. Schaut in den Spiegel!“

Geeint und entschlossen die Angst zu durchbrechen, um sich von ihr nicht lenken und unterjochen zu lassen: Auch darin könnte Finnland ein Vorbild für Europa sein. Österreich kann und muss nicht Finnlands Weg einschlagen, andere Disposition, aber ein offenes, nüchternes und erwachsenes Gespräch des Landes mit sich selbst und die Erkenntnis, dass das Schwarzfahrer-Konzept moralisch und militärisch endgültig ausgedient hat, das wäre einzufordern. Tun wir in den Kommentaren: Blattlinie. Große Lust auf ein finnisches Hafen-Pub mit Bücherwand.

Einen schönen Tag in Ihrem Sinn wünscht

Hubert Patterer
hubert.patterer@kleinezeitung.at