Wenn ich auf unsere verschneite Wiese schaue, fliegen meine Gedanken 30 Jahre zurück. Unsere Buben, acht, sieben und fünf Jahre alt, hatten in der Mitte unseres kleinen Gartens einen Schneehügel errichtet, mit Zahnstochern Tore gesetzt und Legofiguren zu Riesenslalomfahrern erklärt. Ihre dreijährige Schwester durfte als Torrichterin fungieren, solange sie die fragile Konstruktion nicht gefährdete. Dominiks Alberto Tomba, im ersten Durchgang noch Zweiter, konnte im zweiten Benedikts Marc Girardelli klar überholen, während Rainer Salzgeber – Nikolaus war schon damals ein glühender Patriot – weit abgeschlagen Dritter wurde.
Heute sehe ich dem Winter mit seiner hoffentlich bis zum Heiligen Abend anhaltenden Schneedecke uneingeschränkt entspannt entgegen, nicht zuletzt deshalb, weil mein mit unserer Tochter im Haus lebender deutscher Schwiegersohn zwar die Bedienung des Rasenmähers mir überlässt, dafür aber gern zur Schneeschaufel greift, die er in seiner Sprache „Schippe“ nennt, sobald der Weg zum Gartentor von weißem Flaum bedeckt ist.

Offenbar hat er sich vorgenommen, unserer Nachbarin den Preis für den akkuratest gekehrten Vorgarten streitig zu machen, den sie seit Jahren unangefochten für sich beansprucht. Beim letzten kräftigen Schneefall freilich baute die klar über 70-jährige quirlige Frau wie jedes Jahr neben ihrem Briefkasten einen Schneemann, nach alter Tradition mit Kochtopf und Karottennase. Zum Glück für ihn waren gerade unsere Enkel zu Besuch, die von ihrem Onkel dazu überredet werden konnten, neben unserem Apfelbaum einen noch größeren zu bauen. Da ich nicht bereit war, einen meiner antihaftbeschichteten Töpfe schädlichen Außentemperaturen auszusetzen, trägt er eine Baseballkappe. Bis der Onkel allerdings die oberste Kugel der mächtigen Konstruktion auftürmen konnte, saßen die lieben Kleinen längst in der warmen Küche bei Kakao und Keksen.

„Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch“, sagte Erich Kästner. In diesem Sinn sind unsere Nachbarin und unser Schwiegersohn ganz sicher Menschen.