Als unsere Kinder klein waren, wies ich sie von Zeit zu Zeit darauf hin, wie gut es ihnen eigentlich gehe. Jetzt sind sie groß und wissen es aus eigener Erfahrung, weil sie viel Leid und Elend gesehen haben: in Brasilien, in Afrika, in den USA. Wir leben in einer so wohlhabenden Gesellschaft, dass es vielen von uns möglich ist, unsere Kinder mit allen erdenklichen Segnungen zu verwöhnen. Es geht ihnen besser als irgendeiner Generation zuvor. Dieser materielle Luxus hat aber auch seine Schattenseiten. Viele Kinder meinen, man bekomme alles umsonst, ohne irgendeine Gegenleistung, so als ob das Leben nur aus Rechten, nicht auch aus Pflichten bestehe.

Ich kenne liebevolle Eltern, die in bester Absicht ihre Tochter erzogen haben – frei von jedem Druck und Zwang. Bitte und Danke waren verpönt – schließlich sollte ihr Kind keine Marionette werden, die, ohne zu hinterfragen, nachplappert, was ihr die Erwachsenen vorsagen. Brigitte bekam stets, was sie wollte. Und sprach aus, was sie sich dachte. Wenn ihr etwas nicht gefiel, sagte sie es geradeheraus – sie war erbarmungslos ehrlich. Unlängst traf ich das Mädchen, das jetzt etwa 14 Jahre alt ist, mit ihren Eltern in einer Boutique. „Den Fetzen soll ich anziehen? Glaubst, ich will auch so deppert ausschauen wie du?“ Kommentarlos wagte die Mutter einen weiteren Versuch. „Also, einen Geschmack hast du … ein Wahnsinn!“ Nach zahlreichen weiteren Fehlschlägen fand die junge Dame doch etwas Passendes und, wie mir schien, nicht allzu Billiges. Kein Wort des Dankes, sondern nur die unwillige Aufforderung: „Gemma jetzt endlich was trinken?“

Immer, wenn meine entzückende Enkelin (2) zu Besuch ist, entspinnt sich folgender Dialog: „Opapa, kann ich einen Müsliriegel haben?“ Worauf ich antworte: „Wie sagt man?“ Aber Elena, die einen ausgeprägten Willen hat, schweigt. Sie will sich offensichtlich von mir nichts vorschreiben lassen. Ich warte. Plötzlich hat das kleine Mädchen die Lösung. Sie kommt mir ganz nahe und sagt nicht, sondern haucht mir, kaum vernehmbar, das Zauberwort ins Ohr: „Bitte.“