Die Hitsingle „Wannabe“ machte die Spice Girls 1996 berühmt. Der Song erreichte in 37 Ländern die Spitze der Charts und war der Start eines globalen Pop-Phänomens, das zwei Jahre zuvor begann. Am 4. März 1994 folgten rund 600 junge Frauen einer Anzeige für ein Vorsingen in den Londoner Danceworks-Studios. Drei der Teilnehmerinnen, die dort vor 30 Jahren ihr Glück versuchten, wurden als Spice Girls weltbekannt. Zwei schafften es über Umwege in die erfolgreichste Girlgroup.

Der junge Unternehmer Chris Herbert sah in den frühen 1990er Jahren eine Lücke im Popmarkt. Damals gab es viele erfolgreiche Boybands, darunter vor allem Take That, die gerade ihren Durchbruch geschafft hatten und die Charts eroberten. Eine vergleichbar erfolgreiche Girlgroup fehlte hingegen. Unterstützt von seinem Vater Bob Herbert, einem erfahrenen Talentmanager, schaltete der erst 23-jährige Chris eine Anzeige im Branchenmagazin „Stage“. Die Teilnehmerinnen wurden gebeten, Noten oder eine Kassette mit Hintergrundmusik mitzubringen.

Ein Casting, das Popgeschichte schrieb

Melanie Brown kam aus dem rund 270 Kilometer entfernten Leeds und wollte in London an einem weiteren Casting - für Tänzerinnen auf Kreuzfahrten - teilnehmen. Die damals 18-Jährige sang Whitney Houstons „Greatest Love Of All“. „Mel B war die erste, die mich beeindruckt hat“, erinnerte sich Chris Herbert in der dreiteiligen Doku „Spice Girls: How Girl Power Changed Britain“. „Mir gefiel ihre Einstellung. Sie kam rein, als wäre ihr das alles völlig egal. Das fand ich irgendwie gut. Sie war total selbstbewusst.“

Die 20-jährige Victoria Adams-Wood (heute Beckham) aus dem Londoner Vorort Harlow sang „Mein Herr“ aus dem Musical „Cabaret“. „Brillant“, fand es Herbert. „Victoria war klassischer. Sie hatte ein bisschen Anmut.“ In seinen Notizen - er vergab damals Punkte von 1 bis 10 - schnitt sie allerdings nicht überragend ab: „Tanzen: 6, Singen: 5, Aussehen: 7, Persönlichkeit: 5.“ Die 20 Jahre alte Melanie Chisholm aus Whiston bei Liverpool versuchte es mit „I“m So Excited„ von den Pointer Sisters, gelangte aber nicht in die Endauswahl.

Ihre Karriere in Bildern

Mit Taktik zum Erfolg

Eine etwas dreiste Strategie verfolgte Geri Halliwell (heute Horner), die mit 21 schon einige Castings hinter sich hatte. Sie sagte ihre Teilnahme bei den ersten Auditions mehrfach kurzfristig am Telefon ab. „Jedes Mal hatte sie eine Entschuldigung“, so Herbert, der eine Taktik vermutete und damit nicht so falsch lag. „Ich glaube, ich hätte das Vorsingen nicht bestanden, weil meine Stimmtechnik damals nicht so gut war“, gab Halliwell später zu. So schaffte sie es unter die letzten zwölf Kandidatinnen. „Da war ich dann ein bisschen laut.“

Die Wahl fiel schließlich auf Victoria Adams-Wood, Melanie Brown, Geri Halliwell, Michelle Stephenson und Lianne Morgan. Kurz darauf entschieden sich Chris und Bob Herbert aber noch einmal um. „Ich wurde ausgewählt, aber einen Monat später bekam ich einen Brief“, erinnerte sich Morgan, die damals 23 war. „Sie schrieben, sie fänden mich sehr gut, aber ich sähe deutlich älter aus als die anderen.“ So kam Melanie C doch noch zu ihrer Chance, weil sie jünger war und die Manager fanden, dass sie besser in das Bandgefüge passen würde.

Interne Streitigkeiten

Fortan wohnten die fünf jungen Frauen zusammen in einem Haus. Die Herberts und Co-Financier Chic Murphy organisierten Gesangs- und Tanzunterricht. Dann luden sie angesagte Songwriter und andere Verantwortliche aus der Musikindustrie ins Studio ein, um ihnen ihre angehenden Popstars vorzustellen.

Doch es kam zu Spannungen zwischen Michelle Stephenson und den anderen, die ihr mangelnden Einsatz unterstellten. Ob die erst 17-Jährige die Band verließ oder gehen musste, darüber gibt es verschiedene Erzählungen. Laut Spice-Girls-Biograf Sean Smith liegt die Wahrheit in der Mitte.

Die von den Herberts engagierte Gesangslehrerin Pepi Lemer schlug als Ersatz eine ihrer ehemaligen Schülerinnen vor. Emma Bunton, die in Werbespots und TV-Serien mitgespielt hatte, zog probeweise in das Bandhaus ein, wo sie sich schnell mit allen anfreundete. Damit war die Girlgroup wieder komplett.

Neues Management

Chic Murphy, ein Macher vom alten Schlag, hatte davor gewarnt, der Gruppe zu früh einen Vertrag zu geben. Er befürchtete, sie könnten ihren Ehrgeiz verlieren. Das erwies sich als fatale Fehleinschätzung. Denn im März 1995 suchten sich die zielstrebigen Frauen kurzerhand ein neues Management. Simon Fuller, der später die Casting-Show „Idol“ mit dem deutschen Ableger „Deutschland sucht den Superstar“ erfand, nahm die Spice Girls, die eigentlich Touch heißen sollten, unter Vertrag und wurde damit selbst weltberühmt.

Erfundene Ursprünge

Nach dem Durchbruch verleugneten die Spice Girls zunächst ihre Ursprünge. „Wir waren schon vorher Freunde“, behauptete Emma Bunton damals in einem MTV-Interview. Auch Mel C bestritt damals, dass es ein Casting gegeben habe. „Wir kannten uns schon lange“, sagte sie. „Wir waren Tänzerinnen und Sängerinnen und sind uns immer wieder begegnet. Dadurch sind wir Freundinnen geworden. Und schließlich haben wir entschieden zusammenzuziehen.“

Chris Herbert, dessen Vater in den 1980ern das Popduo Bros auf ähnliche Weise kurz vor dem Durchbruch an ein anderes Management verloren hatte, hat nach eigener Aussage seinen Frieden damit gemacht. Das sagte er 2019 anlässlich einer Reunion-Tour der Spice Girls. Herbert landete später als Manager von Bands wie Five oder B*Witched respektable Erfolge. „Es war gut für meine Karriere“, sagt er über die Spice Girls und äußerte sich erfreut, dass sie weiter erfolgreich sind. „Das macht mich sehr, sehr
stolz.“