Leserbrief zu Essay: „Erbschaft einer Zeit“, 31. 12.

Meine Gratulation an Konrad Paul Liessmann zu diesem Artikel. In meiner 40-jährigen Lehrtätigkeit (in Deutschland) habe ich mit Schrecken die kontinuierliche Verschlechterung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit der Schülerinnen festgestellt, durch sogenannte fortschrittliche Lernprogramme wie Schreiben nach Gehör und kompetenzorientiertes Lesetraining. Gymnasiallehrerinnen und Uni-Professorinnen sind schier verzweifelt, da sie die Klausuren und Hausarbeiten vor lauter Rechtschreib- und Grammatikfehlern nicht mehr korrigieren konnten. Inzwischen hat man in Deutschland diese Lernprogramme wieder aus dem Schulalltag verbannt. „Back to the roots“ ist das Geheimrezept! Bettina Reiter, St. Margarethen

Weitere Leserbriefe zum Thema

Ausbildung vs. Bildung

Der deutsche Philosoph Julian Nida-Rümelin bringt es auf den Punkt: „Die Ignoranz der europäischen Denktradition, was Bildung ausmacht. Nämlich historisches, politisches, ästhetisches und kulturelles Wissen.“ Ich nenne das, was man in der Schule lernt, „Ausbildung“ und nicht Bildung. Bildung kann man in der Schule nicht lernen. Bildung beginnt zuerst beim Lesen. Denn durchs Lesen kann man erst Bildung erlernen. Ein Handwerker hat zuweilen mehr Bildung als ein Rechtsanwalt. Werner Stitz, Voitsberg

Lebenslanges Lernen

Ich möchte den prima Artikel des Herrn Professor Liessmann, der an sich ein Bildungsaufruf an junge Menschen ist, erweitern: Um „in einer Welt des Wandels, der Krisen und der Kriege nicht zu verzweifeln“, bedarf es aber auch einer lebenslangen Weiterbildung von uns Erwachsenen, denn nur durch Bildung kann man „sich ein Bild machen“, kann man Aktuelles und Fortschreitendes verstehen.

Ein Inbild für lebenslanges Lernen ist für mich das Selbstporträt des greisen, gehörlosen, großen spanischen Malers Francisco de Goya, auf zwei Krücken gestützt, unterschrieben mit: „Noch lerne ich (Aún aprendo).“ Dr. Fritz Grill, Gleinstätten

Zweiklassensystem

Nun haben wir seit circa einem Monat neue PISA-Ergebnisse. Grund, dass alle SuperpädagogInnen aus den Maulwurflöchern kommen und ihren Kommentar abgeben. Ich frage mich, wieso kann Konrad Paul Liessmann mit seinen Gedanken nicht von den Verantwortlichen „erhört“ wird. Er wäre der richtige Berater, der sich gegen Bildungsideologie stellt und auch für Randfächer im Unterrichtskanon ein offenes Ohr hätte.

Wir sind PISA-Durchschnitt, haben wieder ähnlich schlechte Ergebnisse im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und müssen zugestehen, dass es weiterhin ein bildungspolitisches Zweiklassensystem gibt. Auf der einen Seite die AHS (Allgemeinbildende höhere Schule), auf der anderen Seite die Pflichtschulen (Mittelschule und polytechnische Schulen). Unser bekanntes Parallelsystem ist wieder in den Blickpunkt geraten. Wann wird die ÖVP erkennen, dass es so nicht weitergehen kann? Mit dem Zweiklassensystem werden Nachhilfestunden und eine oft intensive Mitarbeit der Eltern gefordert. Der Ehrgeiz, in einer AHS unterrichtet zu werden, ist groß. Oft ist es die falsche Schulwahl, die zu Frust und falschen Einschätzungen der Leistung führt. Ein weiteres Manko ist, dass die Minister laufend ausgewechselt werden, die Kontinuität einer Schulentwicklung schwer zu erkennen ist und nicht-kompetente Köpfe Schulpolitik machen. Schulpolitik kann ausschließlich mit Fachleuten und mit PraktikerInnen gelingen. Wolfgang Stern, Graz