Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.“ So steht es in der Heiligen Schrift geschrieben.
Wenige Verse weiter im Lukasevangelium verkündet der Engel des Herrn den Hirten die Frohe Botschaft: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“

Gleich zwei Mal wird im Weihnachtsevangelium erwähnt, was für Frauen in der Antike ebenso üblich war, wie es dies heute noch ist. Nämlich, Neugeborene in Windeln zu wickeln. Warum also findet solch eine banale Selbstverständlichkeit in dem biblischen Bericht überhaupt eine Erwähnung?

Um dies zu beantworten, muss man in die Welt der Religionen eindringen. Auf der einen Seite gibt es die Hochreligionen und ergänzend dazu den jeweiligen Volksglauben. Das war im Judentum der Zeitenwende so und das hat sich auch im Christentum und im Islam späterer Jahrhunderte nicht geändert. Auf der einen Seite vermitteln Rabbiner, Priester und Imame Glaubensvorstellungen, die sie aus den jeweils heiligen Schriften ableiten, auf der anderen Seite gibt es diesen Bodensatz des Glaubens, der ein wenig mit Folklore und auch mit lokalen Traditionen vermischt ist. Dieser Volksglaube zeichnet sich dadurch aus, dass sich für sein Glaubensgut keine biblischen Belege finden lassen.

Der böse Blick und das in Windeln gewickelte Kind

Zu diesen Vorstellungen gehört bis in heutige Zeiten im Orient der „böse Blick“, der versucht, von Menschen Besitz zu ergreifen. Besonders leicht sei dies bei Kindern möglich, weswegen man diese auch dementsprechend schützen müsse. Und solch einen Schutz böten eben die Windeln, wobei man nicht an einen Strampelanzug denken darf, sondern vielmehr an ein Steckkissen, in dem dem Säugling die Arme an den Körper angelegt wurden, ehe er mit einer langen Binde „eingefatscht“ wurde. Nur der Kopf schaute heraus. Bildlich umgesetzt wird dies in den Geburtsikonen der Ostkirche.

Mit dieser Technik der Abdeckung des beinahe ganzen Körpers tat Maria alles, um dem „bösen Blick“ keine Angriffsfläche zu bieten. Hätte sie dies unterlassen, dann wäre die Gefahr groß gewesen, dass ihr Kind „von bösen Dämonen“ – heute sprechen wir von Geisteskrankheiten – in Besitz genommen wird. Tatsächlich wird in den Evangelien zwei Mal der Vorwurf erhoben, Jesus „sei von Sinnen“, wie es im Markusevangelium (3, 21) zu lesen ist. Und bei Johannes wiederholt sich der Vorwurf, wenn es dort (8, 48) heißt: „Da antworteten ihm die Juden: Sagen wir nicht mir Recht: Du bist ein Samariter und von einem Dämon besessen?“ Diesen Vorwurf entkräftet Lukas ganz deutlich, indem er eben schreibt, Maria habe ihr Kind „in Windeln gewickelt“

Was trotz der Windeln unbedeckt bleibt, ist der Kopf und später sind dies auch die Hände. Auch dort findet der „böse Blick“ seine Angriffsflächen.
Was haben die Menschen in der Antike getan und tun es im Orient bis heute, um die Kinder zu schützen? Dies konnte ich bei einer meiner Wanderungen durch das Westjordanland, unweit des arabischen Dorfes Tubas, beobachten. Es waren ein paar Buben, die in einer Sandmulde hinter einem Haus gespielt haben, alle noch im Vorschulalter. Auffällig war, dass sie alle rot lackierte Nägel und geschminkte Lippen hatten. „Gegen den bösen Blick“, versicherte mir eine junge Mutter.

Tatsächlich hatten das Schminken der Lippen und das Bemalen der Fingernägel erst spät eine behübschende Funktion übernommen. Ursprünglich waren sie als „Wächter“ zum Schutz der Kinder gedacht.

Nicht nur in der Sorge um ihren Sohn, von der Geburt bis zu ihrer Verzweiflung, wenn sie unter dem Kreuz steht, war Maria eine „große Frau“. Auch in anderer Hinsicht überragt sie so manch eine zentrale Gestalt der Bibel, wie die Geschichte der Verheißung der Geburt Jesu (LK 1, 26 ff.) belegt. Der Hintergrund ist, dass Gott sich einiger auserwählter Menschen bedient, um seine Botschaft auf die Erde zu bringen. In den Schriften des Alten Testaments finden wir etliche Beispiele, in denen Gott Menschen beauftragt, seinen Willen zu erfüllen. So befiehlt er Mose, das Volk der Israeliten aus der Knechtschaft Ägyptens herauszuführen. So tatkräftig sich Mose später als Anführer seines Volkes auch herausstellt, auf den Anruf Gottes reagiert er zunächst zögerlich. Er sagt: „Wer bin ich denn, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?“ Schließlich fügt er sich doch und geht zum Pharao.

"Weh mir, ich bin verloren"

Nicht weniger verzweifelt ist der große Prophet Jesaja, der überhaupt sein Ende kommen sieht, wenn er seine Berufung mit dem Satz kommentiert: „Weh mir, ich bin verloren!“ Am radikalsten verweigert sich Jona dem Ruf Gottes. Dieser will den Propheten nach Ninive schicken, damit er dort ein Strafgericht ankündige. Jona aber fürchtete sich offenbar vor dieser Aufgabe und nahm ein Schiff nach Tarschisch, „weit weg vom Herrn“. Aber der Herr ließ nicht locker, er rettete Jona, den die Besatzung des Schiffs über Bord geworfen hatte, indem er einen „großen Fisch“ schickte. Dieser verschluckte den abtrünnigen Propheten und spuckte ihn schließlich dort aus, wo der Herr ihn schon ursprünglich hatte haben wollen: in Ninive.

Einen ähnlichen Anruf Gottes erfährt ein Mädchen namens Mirjam (hebräisch) oder Maryam (aramäisch), das in dem kleinen Kaff Nazaret in Galiläa lebt. Bei ihm trat der Engel Gabriel ein und verkündete: „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: Dem sollst du den Namen Jesus geben.“

In der Tradition der großen Männergestalten der hebräischen Bibel, die sich zunächst einmal dem Anruf Gottes verweigert haben, könnte man meinen, dass die wohl erst 16 oder 17 Jahre junge Frau in ihrem ersten Schock genau dasselbe tut. Aber sie ist tapfer und antwortet, ganz ohne zu zögern: „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Durch diese sofortige Hingabe an Gott, die keinen Zweifel kennt und auch kein Zaudern, beweist Maria eine tiefe Hingabe an ihren Gott. Damit steht sie etwa mit Abraham auf einer Stufe, der ebenfalls bereit war zu tun, was Gott von ihm verlangte. Und sei es, seinen eigenen Sohn Isaak zu opfern.

Diese Hingabe sollte reichen, um Maria im Christentum zu einer zentralen Gestalt werden zu lassen. Da bedarf es keiner Verkitschung und auch keiner Quasi-Vergöttlichung. Sie ist eine große Frau, weil sie sich, jung, wie sie war, ihre Lebenspläne von Gott hat durchkreuzen lassen. Und das, ohne zu zögern.