Könnte man bei einem Krampusumzug zwischen all dem Gebrüll, Geschrei, Geklirre und Geschnaufe noch irgendetwas hören, dann hätten wir die Sache mit dem passenden Soundtrack ziemlich schnell erledigt: „Sympathy for the Devil“, Rolling Stones, fertig. Und überhaupt ist das mit dem Krampus und all den dazugehörigen finsteren Gesellen, die derzeit landauf, landab so ihr Unwesen treiben, relativ sonnenklar - würde er nicht bisweilen im infernalischen Pyrotechniknebel untergehen.

Wir fürchten ihn, wir lieben ihn. Wir finden ihn abstoßend, wir finden ihn anziehend. Wie ein archaischer Illusionskünstler aus ferner Zeit haben wir mit ihm scheinbar das Böse konserviert. Teufelshörner, gruselige Fratzen, Fell und Feuer - eine Ikonografie des Bösen. Und es scheint, als hätten wir ihn und damit „es“ längst domestiziert: Abgesperrt und eingesperrt und hinter Gittern, vom Publikum separiert, darf er wüten, der Krampus. Aber wehe, er schlägt über die Stränge. Dann muss der Mensch erkennen, dass er einem ganz großen Irrtum aufgesessen ist. Denn wir fürchten uns vor der Maske, aber der wahre Beelzebub, der verbirgt sich dahinter: „Das sogenannte Böse gibt es eigentlich gar nicht, denn ,das Böse' sind nur die Handlungen des Menschen selbst. Und nicht zuletzt projizieren wir unsere eigenen Handlungen auf unbekannte, böse Mächte“, umreißt Franz M. Wuketits, Autor des Buches „Warum uns das Böse fasziniert“, die Krux.

Wir lagern unsere dunklen Eigenschaften also gerne ab und aus. Und wir suchen uns dankbare Gegenspieler, die für uns das dunkle Blendwerk verkörpern dürfen. Und da spielt der Mensch schon gerne einmal mit unfairen Mitteln, so Wuketits: „Zwar ist ,das Böse' eine höchst menschliche Kategorie, aber wir übertragen es auch auf das Tier - wie auf den bösen Wolf. Dabei ist der weder gut noch böse, weil die Natur diese Kategorie gar nicht kennt.“

Sinnbild des Bösen: der Wolf
Sinnbild des Bösen: der Wolf © APA/dpa/Bernd Thissen

Aber der Mensch hat in seiner Geschichte das Böse gut kultiviert und in schöne Einheiten verpackt, um es gut weiterzutransportieren. Wie es den Gebrüdern Grimm ab 1812 mit der Herausgabe ihrer Kinder- und Hausmärchen nachhaltig gelang. In ihrer Sammlung von damals gängigen Erzählungen ist „das Böse“ klar ausgeschildert. Wie etwa bei Rotkäppchen, wo der böse, struppige Wolf nicht nur die Großmutter frisst, sondern sich auch noch in einem perfiden Täuschungsmanöver zuerst das Vertrauen von Rotkäppchen erschleicht, um es kurze Zeit später zumindest kurzfristig um die Ecke zu bringen: „Aber, Großmutter, was hast du für ein großes Maul?“ - „Damit ich dich besser fressen kann!“ Wie gut, dass „das Gute“ in solchen Erzählungen nie sonderlich weit weg ist - im Fall von Rotkäppchen ist es der gute Jäger, der den Wolf zur Strecke bringt und damit das Happy End einläutet.

Zufall ist das keiner, sondern wohldurchdacht, wie Wuketits Licht ins Dunkel bringt: „Wir Menschen neigen zu dieser Dichotomie: Wo das Gute ist, ist auch das Böse nicht weit weg." Ein Mechanismus, der sich durch die Geschichte der Menschheit zieht - ganz besonders im religiösen Kontext. Wer den Saal VI in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien betritt, wird fast erschlagen - im wahrsten Sinne des Wortes. Auf einer gigantischen Leinwand mit vier Meter Höhe und fast drei Meter Breite schwingt der Erzengel Michael mit voller Breitseite sein Schwert.

Luca Giordano: „Erzengel Michael stürzt die abtrünnigen Engel“
Luca Giordano: „Erzengel Michael stürzt die abtrünnigen Engel“ © Kunsthistorisches Museum

Der Titel des Bildes ist Programm: „Erzengel Michael stürzt die abtrünnigen Engel“. Als der italienische Starmaler Luca Giordano das Bild rund um 1660 fertigte, ist man längst in der Spätrenaissance angelangt und die Darstellung des Teufels hat eine entscheidende Wendung genommen: Der Teufel, er hat jetzt ein menschliches Antlitz. Wer vor dem gigantischen Gemälde steht, dem geht es noch heute durch Mark und Bein. Die verzerrten Gesichter der ehemaligen Engel, die sich gegen Gott gestellt haben, scheinen sich in dieser Sekunde vom Guten ins Böse zu transferieren. Der Engel wird zum Teufel - und er schaut dabei verdammt menschlich aus. Besser und intensiver könnte ihn wohl nicht einmal Hollywood darstellen. Die Ahnung davon, dass hinter der vertrauten, menschlichen Fassade „Das Böse“ lauert, damit hat der Mensch so seine großen Schwierigkeiten.

Wenn wir schon bei Hollywood sind, ist das eines der beliebtesten Stilmittel für die ganz großen Filme: Der scheinbar Vertrauenswürdige, dem man sich öffnet, der am Ende als der Böse enttarnt wird. Und dabei hat man es nicht einmal kommen sehen. Das kann einem beim Krampus ja Gott sei Dank oder besser gesagt, Handwerk sei Dank, wohl nicht passieren. Wobei wir hier eine ganz wichtige Option nicht vergessen wollen: Es liegt an einem selbst, die Maske wieder abzunehmen.