Ein Mann sitzt auf dem Holzfußboden, vor ihm liegt der aufgeklappte Laptop. Mit der rechten Hand bedient er die Tastatur, im linken Arm hält er einen Säugling. Direkt neben ihm, an die Bettkante gelehnt, hockt ein weiteres, etwas älteres Kleinkind. Büroutensilien wie Papier, Terminkalender, Stift und Smartphone verteilen sich auf dem Parkett – und komplettieren das Bild eines überforderten Homeofficers.

So stellt sich das deutsche Wochenmagazin „Focus“ in Corona-Zeiten „das Büro der Zukunft“ vor. In der Vergangenheit waren auf abschreckenden Fotos dieser Machart stets Mütter zu sehen. Sie sollten die Probleme veranschaulichen, die Frauen mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mit der Vermischung von Erwerbsarbeit und Privatleben hatten. Jetzt aber befinden sich viele Männer in einer ähnlichen Situation – weil sie von ihren Chefs nach Hause geschickt wurden.

Auch ohne Coronavirus-Pandemie experimentieren „neue Väter“, so hat sie die Wissenschaft schon vor Jahrzehnten bezeichnet, mit einer Erweiterung ihrer Rolle. In der geschlechterpolitischen Debatte setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Förderung von Müttern in Unternehmen nur dann funktioniert, wenn ihre Partner mehr Sorgearbeit übernehmen. Zum zentralen Steuerungsinstrument entwickelte sich nach skandinavischem Vorbild auch im deutschsprachigen Raum die bezahlte Elternzeit.

Seit die Babypause finanziell honoriert wird und ein Teil der Zuschüsse verfällt, wenn Männer sie nicht in Anspruch nehmen, ist das Interesse deutlich gestiegen. In Deutschland stellen nach aktuellen Auswertungen mittlerweile fast vierzig Prozent der Väter einen Antrag auf Elterngeld, vor der Einführung der Regelung im Jahr 2007 waren es nur gut drei Prozent. In Österreich, wo die Auszeit Karenz heißt, beziehen aktuell 19 Prozent der Männer Kinderbetreuungsgeld.

Der kulturelle Wandel wird eingeleitet

Kritische Berichte zum „Väter-Hype“ monieren, das seien reine „Mitnahmeeffekte“. Frauenpolitikerinnen verweisen darauf, dass vier von fünf Männern nur für kurze Zeit zu Hause bleiben. Das Ziel, Rollenmuster aufzubrechen und mehr Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, werde verfehlt. Doch selbst wenn Väter nur wenige Wochen wegen ihres Kindes beruflich pausieren, signalisiert das einen kulturellen Wandel. Durch die Lohnersatzleistung müssen sie ihre gewohnte Versorgerrolle nicht vollständig aufgeben, sie tragen trotz Karenz weiterhin Wesentliches zum Familieneinkommen bei. Die hohe Akzeptanz der „Papamonate“ belegt, dass Gesetze das Verhalten in Partnerschaften und die Arbeitsteilung in Familien durchaus beeinflussen oder gar steuern können.

Die Diskussion um den „neuen Vater“ beschränkte sich lange Zeit auf die Phase rund um die Geburt. Es ging um Schwangerschaft, das „erste Jahr zu dritt“, das Zusammenleben mit Säuglingen. Entscheidender aber ist die Phase danach. Familienorientierte Männer merken schnell, dass Kinderaufziehen nicht nur ein paar Monate dauert, sondern ungefähr zwanzig Jahre – manchmal sogar noch länger. Beginnt die „Retraditionalisierung“ der Geschlechterrollen, vor der die Frauenforschung warnt, also einfach biografisch ein bisschen später? Kehren Männer und Frauen dann zurück zur althergebrachten Arbeitsteilung, garniert mit ein paar modernen Elementen? In der Tat ist die Karenz für manche Männer nur ein kurzes biografisches Zwischenspiel. Im günstigen Fall aber wird sie zur Einstiegsdroge.

Die Papa-Welle erreicht die Unternehmen

Eine Welle der aktiven Väterlichkeit rollt auf jene Institutionen zu, mit denen Familien zu tun haben. Krippen, Kindergärten, Nachmittagsbetreuungen, Jugendämter und Schulen treffen erstmals auf eine nennenswerte Masse von Männern, die andere Erfahrungen mitbringen als die Väter früherer Generationen. Betreuungs-, Beratungs- und Bildungsanbieter brauchen daher neue Konzepte. Es reicht nicht mehr, Väter zum kostengünstigen Renovieren von Gruppenräumen in den Kindergarten einzuspannen oder sie beim Schulfest an den Grill zu stellen. Wer als Mann nach der Geburt eines Babys zeitweise allein verantwortlich war, erwartet zu Recht, später auch von Erzieherinnen oder Lehrerinnen beachtet und ernst genommen zu werden. Schon in die Ausbildung dieser Berufsgruppen gehören deshalb Seminare und Bausteine, die sich mit Väterarbeit beschäftigen.

Parallel hat die Papa-Welle auch die Unternehmen erreicht. Nicht erst in der Coronakrise machen Männer unerwartet gute Erfahrungen mit (zunächst erzwungener) Kurzarbeit oder dem Wechsel ins Homeoffice. Sie merken, wie viel Zeit und Energie das oft lange Pendeln zum Arbeitsplatz stets gekostet hat. Sie erleben, wie die Familie und sie selbst profitieren, wenn sie mehr Zeit haben und häufiger zu Hause sind.

Das berufliche Umfeld entscheidet letztlich darüber, ob sich Lebensentwürfe von Männern wie Frauen individueller gestalten lassen. In einer Studie zur Elternzeit haben Svenja Pfahl und Stefan Reuyß vom Institut für sozialwissenschaftlichen Transfer in Berlin hier „Nachwirkungen“ festgestellt, die über die Babypause hinausgehen. Die befragten Väter räumen der Familie einen größeren Stellenwert ein, sie kümmern sich intensiver um ihre Kinder und weisen unzumutbare berufliche Anforderungen deutlicher zurück als früher.

Auf keinen Fall jedoch wollen Männer so arbeiten wie auf der eingangs beschriebenen Titelseite. Mit dem Laptop am Wohnzimmertisch oder in der Küche zu sitzen, umgeben von Kleinkindern, war auch für Mütter nie attraktiv. Sondern eine Notlösung: Frauen arrangierten sich damit, weil Chefs ihre männlichen Partner für unabkömmlich erklärten. Die ablehnende Haltung der Vorgesetzten passte traditionell eingestellten Männern durchaus ins persönliche Lebenskonzept. Das Büro bildete für sie einen Fluchtpunkt, hier waren sie unbehelligt von der Familie. Deren Anwesenheit symbolisierte nach altbackenem Klischee lediglich das Foto der Liebsten auf dem Schreibtisch. Unterstrichen wurde dieses Bild – zumindest in Deutschland – auch durch das „Feiern“ des Vatertags: Er diente nicht dazu, etwas mit dem Nachwuchs zu unternehmen –, stattdessen machten Männer mit Freunden, Kutsche oder Leiterwagen und reichlich Alkohol einen drauf.

Stimmungsumschwung wird spürbar

Lebensmodelle ohne private Verpflichtungen gelten vielen Betrieben immer noch als beste Voraussetzung für eine reibungslose Karriere. Lange dominierte dort eine Unentbehrlichkeitskultur der Kinderlosen, die Vaterrolle blieb unsichtbar. Die „familienfreundliche“ Erwerbswelt, von der Beraterszene unermüdlich propagiert, erwies sich vielerorts als Mogelpackung.

Zwar gibt es große wie kleine Firmen, die Beschäftigten mit kleinen Kindern (oder pflegebedürftigen Angehörigen) entgegenkommen. Sie wollen weniger unverbindlich „freundlich“ sein als mit einer familienbewussten Strategie dem Fachkräftemangel begegnen. Vor allem qualifizierte Mütter möchten sie nicht verlieren, bieten Programme zum Wiedereinstieg oder Teilzeitstellen an. „Väterfreundlichkeit“ ist weniger verbreitet: Männer sollen voll einsatzfähig bleiben, nach dem Motto: Der hat doch eine Frau für seine Kinder!

Die Wirtschaftspresse schreibt seit Jahren über „Work-Life-Balance“, die Personalchefs spüren einen Stimmungsumschwung. Der umworbene männliche Nachwuchs erwartet nicht nur schicke Büros und teure Dienstwagen, sondern auch Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Väter der Generation Y, die zwischen 1980 und der Jahrtausendwende geborenen Männer, suchen betriebliche Partner für einen alternativen Karriereweg: Der darf ruhig ein bisschen länger sein, er sollte private Umwege akzeptieren und Erfahrungen jenseits des Berufes positiv bewerten.