Bushido war bisher der schillerndste Coup von Arafat Abou-Chaker. Mit dem Berliner Rapper konnte sich der Chef des palästinensischstämmigen Familienverbandes über Jahre ganz legal schmücken. Denn sonst bringen Ermittlungsbehörden seinen Clan eher mit organisierter Kriminalität in Verbindung.

Der Musiker, der bürgerlich Anis Ferchichi heißt, brachte mit dieser Freundschaft vor mehr als 15 Jahren eine neue Dimension in die Branche. Gangsterrapper suchten zuhauf den Schutz und die Geschäftstüchtigkeit der arabischen Großclans. Diese wiederum sahen in ihnen ideale Markenbotschafter, weil sie über Drogen, Gewalt und den schönen Schein der Statussymbole sangen.

Neue Form der Musikbranche

Bushidos Ausstieg 2017 und der folgende Prozess warfen ein düsteres Bild auf diese Art der Liaison, die nicht nur von Freiwilligkeit geprägt war. Und sie zeigen eine weitere Facette aus der Parallelwelt arabischer Clans. Schwerer wiegen freilich eine Reihe von spektakulären Taten seit Anfang der 2000er, die auf das Konto von Clans wie den Miris, Remmos, Abou-Chakers oder Al-Zeins gehen. Dazu zählen der Überfall auf ein Pokerturnier in Berlin 2010, der Diebstahl einer riesigen Goldmünze aus dem Bode-Museum 2018 und der Einbruch in das Grüne Gewölbe in Dresden 2019. Um Schutzgelderpressungen, Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche, Raubüberfälle, Diebstähle, Zuhälterei, auffällige Häufungen bei Gewalt- und Körperverletzungsdelikten wussten Ermittlungsbehörden, allein sie blieben oft im Halbschatten der Öffentlichkeit.

„Ende der 90er-Jahre entstand eine Art Wettbewerb unter den Clans“, sagt Migrationsforscher Ralph Ghadban. „Es folgte die Verachtung des Staates, weil sie sahen, dass es keine Sanktionen gab. Ihre Unverschämtheit wurde grenzenlos.“

Ralph Ghadban in seiner Berliner Wohnung
Ralph Ghadban in seiner Berliner Wohnung © Ingo Hasewend

Der 71-Jährige stammt selbst aus dem Libanon. Er kam 1972 nach dem Studium in Beirut nach West-Berlin, arbeitete jahrelang als Sozialarbeiter mit arabischen Berlinern und forschte zum Thema Migration. Er wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer der wichtigsten vor Clankriminalität warnenden Stimme.

Ghadban serviert Kaffee in seiner Berliner Wohnung. Es ist nicht selbstverständlich, dass man ihn einfach so besuchen kann, auch wenn man keinen Anruf mehr vom Landeskriminalamt im Vorfeld erhält. Der Clan-Experte stand 2019 unter Polizeischutz, nachdem er im April einem libanesischen Politmagazin ein Interview zu seinem Buch über kriminelle Machenschaften arabischer Clans gegeben hatte. Das Buch war schon Monate vorher erschienen, aber die Rezensionen in deutschen Medien waren an den Clans vorbeigegangen. Das libanesische Fernsehen schlug umgehend durch in Berlin. Ghadban wurde mit dem Tod bedroht.

Das zeige, auf wen sie wirklich hören, erzählt Ghadban. Deutschsprachige Medien würden sie ebenso wenig ernst nehmen wie den Staat. Die Geschichte dieser kriminellen Clans sei eine lange der gegenseitigen Missachtung und fehlenden Migrationspolitik.

„Libanesen kamen ab 1976 als Bürgerkriegsflüchtlinge, wurden aber allgemein eher als Wirtschaftsflüchtlinge angesehen“, erzählt Ghadban. Nach einer Verschärfung des Asylrechts wurden sie als De-facto-Flüchtlinge geduldet, konnten aber wegen der Genfer Flüchtlingskonvention nicht abgeschoben werden. Freiwillig gehen wollten sie ohnehin nicht.

Fehlende Intergrationsarbeit

„Als sie nach Deutschland kamen, waren sie arm und Sozialhilfe wurde ein wichtiges Mittel zum Überleben“, sagt Ghadban. „Weil sie aber große Familien waren mit durchschnittlich 7,5 Mitgliedern, konnten sie hier mehr verdienen als ein Professor in Beirut.“ Zudem bekamen sie wegen ihrer Größe auch große Wohnungen in Berlin vom Amt gestellt. Wer arbeiten ging, verdiente weniger und empfand das schnell als ungerecht. So etablierten sich Schwarzarbeit neben der Sozialhilfe und der Einstieg ins lukrative Drogengeschäft. Furcht vor dem Staat? Fehlanzeige.
„Unsere Justiz ist nicht gedacht für diese Art der Sozialkultur, wenn Gefängnis als Zeugnis für Männlichkeit gesehen wird“, sagt Ghadban. Er nennt diesen Lebensstil „legalen Raubzug“.

Großfamilien sind traditionell die vorherrschenden Strukturen im Orient. Sie übernehmen die Schutzfunktion, weil staatliche Strukturen wenig ausgeprägt sind. „Der Staat ist oft der Feind, weil er nur klaut“, erklärt Ghadban. Obwohl in Europa der Staat bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter versorgt, wird die Solidarität auch hier künstlich aufrechterhalten. Denn der Zusammenhalt bietet Vorteile: „Wenn man sich mit einem streitet, hat man gleich die ganze Sippe am Hals“, sagt Ghadban und resümiert: „Da hilft kein Staat und keine Polizei.“

Schweigen als Waffe der Familie

Schweigen ist die Hauptwaffe gegen Behörden. „Auch wenn nicht alle im Clan kriminell sind, so schweigen sie doch alle“, erklärt Ghadban. Das verbindende Element sei die Familie, die mit Gewalt zusammengehalten wird. Frauen spielen dabei eine zentrale Rolle. Zwangsheirat sei die Regel, damit die Solidarität erhalten bleibt und die Clanstruktur sich reproduziert, hat Ghadban erforscht. Ein Entkommen ist nach seinen Erfahrungen nicht möglich. Das würde die Clans von kriminellen Vereinigungen unterscheiden. Bushido musste das schmerzhaft erleben.