Ihre Entscheidung kam für viele überraschend: Im Februar will Jacinda Ardern zurücktreten. Die Art, wie sie ihren Rückzug kundtat, war typisch für den Polit-Stil der 42-Jährigen: authentisch, transparent, menschlich. "Für mich ist es Zeit", sagte Ardern. "Ich habe einfach nicht mehr genug im Tank für weitere vier Jahre." Sie trete nicht zurück, weil der Job einer Premierministerin schwer sei, sondern weil sie glaube, dass andere es besser machen könnten. Sie habe ihrer vierjährigen Tochter Neve gesagt, sie werde dieses Jahr bei ihrer Einschulung dabei. Auch sei es an der Zeit, ihren langjährigen Partner Clarke Gayford zu heiraten.

Jacinda Ardern hat in den vergangenen sechs Jahren mehrfach bewiesen, dass sie als Politikerin Mensch bleibt und lösungsorientiert arbeiten kann. Die Sozialdemokratin führt das Land geschickt durch die Coronakrise und zeigte sich auch 2019 schon authentisch, glaubwürdig, einfühlend und entschlossen nach dem schlimmsten Terroranschlag der Landesgeschichte. Das Attentat auf zwei Moscheen in Christchurch mit 51 Toten und 50 Verletzten drohte, die weltoffene Nation zu verändern. Doch Ardern beschwor mit einer einfachen Geste den Zusammenhalt. Beim Besuch der Moscheen trug sie ein Kopftuch und umarmte die Angehörigen und Überlebenden.

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In einem Land, das seit den 70er-Jahren mühsam um die Aussöhnung mit den Ureinwohnern kämpft und seither Platz bietet für zufluchtssuchende Pazifikinsulaner und Glückssucher aus aller Welt, sei kein Platz für Rassismus. Das war der Tenor der Neuseeländer, den Ardern vorgab. Anders als etwa in den USA wurden nach dem Anschlag auf ihr Drängen hin die Waffengesetze umgehend verschärft.
Bei den Maoris heißt diese Idee Whanaungatanga. Es gibt keine genaue Übersetzung, doch es enthält das Gefühl einer tiefen Verbundenheit in einer Gesellschaft. Jeder sorgt für den anderen, weil das Geschick jedes anderen untrennbar mit dem eigenen verbunden ist. Ardern betonte oft diese Verbundenheit mit den Maori, die drei Jahrhunderte vor den Europäern die Inseln besiedelten. 2018 empfing sie Queen Elizabeth II. in einem Kahu huruhuru, dem traditionellen Federmantel der Maori.

Damals war die Premierministerin erst ein halbes Jahr im Amt und stand kurz vor dem nächsten Superlativ. Sie war mit 37 Jahren jüngste Ministerpräsidentin ihres Landes und zweite Regierungschefin der Welt, die im Amt Mutter wurde. Zwei Monate später bekam Ardern ihre erste Tochter. Damals kam der Spruch auf, sie sei die "effizienteste Politikerin der Welt". Damals waren Christchurch und Corona noch weit entfernt.

Jacinda Ardern kurz nach der Geburt ihrer Tochter mit ihrem Partner
Jacinda Ardern kurz nach der Geburt ihrer Tochter mit ihrem Partner © AFP (MICHAEL BRADLEY)

Doch dann kam der 28. Februar 2020 und das Leben der fünf Millionen Neuseeländer änderte sich gravierend. Der erste Fall einer Infektion mit dem Coronavirus wurde bestätigt. Die Zahl der Infektionen stieg schnell an und zwang die Regierung in Wellington zum Handeln. Ardern entschied sich für einen Lockdown, der zu den schärfsten weltweit zählt. Das Ziel: Ihre Regierung will die Ausbreitung nicht nur verlangsamen, sondern das Virus eliminieren. Nach fünf Wochen schien ihre Strategie aufzugehen: Es gebe keine weitverbreitete, unerkannte Übertragung mehr, sagte Ardern: "Wir haben den Kampf gewonnen." Seither kam es kaum noch zu Neuinfektionen.

Obwohl die rigorosen Einschränkungen auch kritisch diskutiert wurden, beschwerten sich nur wenige Neuseeländer über Arderns Art, mit der Seuche umzugehen. So richtete sie zum Osterfest eine Botschaft an die Kinder: Der Osterhase sei systemrelevant und dürfe daher arbeiten wie in jedem Jahr. Leider sei er aber so im Stress, dass er nicht alle selbst beschenken könne, fügte sie an und umging vorsorglich jede Enttäuschung, falls ein Kind hinter das Geheimnis der Hilfshasen kam.


Als Ardern im September 2017 von der Oppositionsführerin zur Premierministerin wurde, hatte sie erst zwei Monate als Parteichefin hinter sich. Die Sozialdemokraten waren nach zwei Wahldebakeln zerrüttet. Die wichtigste Aufgabe schien, die Partei vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Vor allem die Arbeiterschaft warf Labour vor, dem Großkapital zu dienen und sich nicht mehr von den Konservativen zu unterscheiden.

Nicht alle waren glücklich mit Ardern. Eine Kampagne konservativer Männer beklagte, man brauche kein "Titelcover-Model", sondern jemand, der mehr Zeit damit verbringe, das Land zu regieren als Fototermine wahrzunehmen. In dem Land, das 1893 als erstes überhaupt das Frauenwahlrecht einführte und in der Gleichberechtigung weltweit vorne liegt, führte das zu einer kräftigen Gegenreaktion. Ardern selbst reagierte nicht einmal auf die Anwürfe. Dass sie sich nicht leicht erschüttern lässt, bewies sie 2021 ganz konkret. Während eines Fernsehinterviews bebte damals der Boden. „Wir haben hier gerade ein kleines Erdbeben, eine ziemlich deutliche Erschütterung“, sagte sie und setzte nach einer Pause das Gespräch einfach fort.