Die Spuren von Bill Gates reichen dieser Tage noch tiefer in fast jedes Zuhause. Seit der Büro- und Schulalltag für viele in die eigenen vier Wände übersiedelt ist und die Kommunikation mit Arbeitskollegen und Kunden, Klassenkameraden und Lehrern, Familienmitgliedern und Freunden auf Videokonferenzen und in Chatrooms am Handy oder Computerbildschirm verlagert wurde, gehören Betriebssystem- und Software-Programme (Windows, Teams) aus dem Hause Microsoft zur Hauptschlagader der digitalen Kommunikation. Microsoft ist Bill Gates. Und umgekehrt: Bill Gates ist Microsoft. Immer noch. Obwohl er schon im Jahr 2000 als CEO (Chief Executive Officer) abtrat und Aufsichtsratsvorsitzender und Chefentwickler wurde. Obwohl er den Posten des obersten Entwicklers 2008 abgab, den des Chairman 2014. Und obwohl Gates erst vor einem Monat die operativen Bande in das von ihm und Paul Allen vor 45 Jahren gegründete Unternehmen endgültig kappte. Er legte seinen Sitz im Verwaltungsrat des Software-Konzerns zurück.

Dennoch ist Gates noch immer mit Microsoft verbunden. Zum einen will er weiter als „Technologieberater“ für Konzernchef Satya Nadella im Einsatz sein. Zum anderen hält der 64-Jährige ein milliardenschweres Aktienpaket an Microsoft. Diese Anteile zahlen in den Bill & Melinda Gates Foundation Trust ein, die finanzkräftigste Stiftung der Welt. Gespeist wird diese auch über eine Aktienschenkung von Warren Buffett. Der 89-Jährige, selbst einer der reichsten Männer der Welt, überließ der Gates-Stiftung Anteile an dem von ihm gegründeten Investmentunternehmen Berkshire Hathaway, das unter anderem Anteile an Coca-Cola und Apple hält. Das alles macht Gates heute mit einem Vermögen von knapp 104 Milliarden Dollar (rund 93,5 Milliarden Euro) nach Amazon-Chef Jeff Bezos zum zweitreichsten Menschen der Welt. Mit diesem Vermögen hat Gates einen ehrgeizigen Plan: Er will die Welt retten – zumindest aber den Leidensdruck durch Krankheiten, Armut und die Folgen daraus lindern.

Der Programmierer als Philanthrop? Das ist vor allem seiner Frau zu verdanken: Melinda Gates. „Er ist verdammt schlau“, beschrieb Warren Buffett das Paar einmal: „Aber wenn es darum geht, das ganze Bild zu sehen, ist sie schlauer.“ Was sie eint, ist ihre frühe Begeisterung für Computer und Wirtschaft. Er gründet Microsoft, sie beginnt dort zu arbeiten. So lernen sie sich 1987 kennen, sie heiraten 1994. Aber sie „wollte nicht einfach nur die Frau von Bill Gates sein“, sagt Melinda French (ihren Mädchennamen behält sie lange als E-Mail-Adresse) später über diese Zeit.

"Wir sind Co-Egos"

Sie flüchtet sich in die Arbeit, steigt zum General Manager für das Software-Paket „Microsoft Bob“ und das Online-Reisebüro Expedia auf. „Ich wurde damit ganz allein eine sehr wohlhabende Frau. Selbst wenn ich Bill nicht geheiratet hätte, wäre ich Millionärin.“ Selbstbewusste Töne aus einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vor fünf Jahren, die viel über die Charakterstärke einer Frau sagen, die wusste: „Ich schaffe es allein. Ich muss keinen Bill Gates heiraten.“ Sie tat es trotzdem – und wurde Vollzeitmutter von drei Kindern. Ihr zweiter Job. Im Jahr 2000 startet dann die dritte Karriere: Sie übernimmt die Führung der familieneigenen Stiftung. 2008 wechselte auch Bill von Microsoft zur Stiftung. Und sorgte zunächst für Unruhe. Es hat 18 Monate gedauert und viele Gespräche, ein wenig Coaching, Rückschläge und Fortschritte gebraucht, um Führungsstil und Machtverteilung neu auszubalancieren, beschrieb Melinda diese heikle Phase: „Wir sind Co-Egos.“

Gemeinsam steuern sie ein Stiftungsvermögen von knapp über 40 Milliarden Euro und 1400 Mitarbeiter weltweit. Man widmet sich der Bekämpfung von Krankheiten wie Malaria, Polio oder Aids, dem Kampf gegen extreme Armut („Die am stärksten entmachtende Kraft der Welt“, Melinda Gates) und dem Klimawandel (ein Buch von Bill Gates erscheint in einem Jahr), und setzt sich für die Rechte und Ausbildungschancen von Mädchen und Frauen ein.

Das Ehepaar Gates
Das Ehepaar Gates © (c) dpa (A2800 epa Hrusa)


Jetzt haben die beiden einen neuen „Feind“ ausgemacht: das Coronavirus. Weitsichtig, verstörend oder beängstigend mag wirken, dass Bill Gates schon bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2017 vor einer Pandemie warnte. „Wir wissen vielleicht nicht, ob diese Waffe von Menschenhand konstruiert oder ein Produkt der Evolution sein wird. Aber eines ist nahezu sicher: Eine hochgradig tödliche globale Pandemie wird noch zu unseren Lebzeiten auftreten“, so Gates damals.
Heute hält er eine millionenschwere Beteiligung am deutschen Impfstoff-Entwickler CureVac und ist überzeugt, dass, „wenn wir alles richtig machen, wir in weniger als 18 Monaten einen Impfstoff entwickeln können“.

In einem Mitte dieser Woche erschienenen Gastkommentar für die „Washington Post“ setzt er sich für den Bau verschiedener Anlagen ein, um die erfolgversprechendsten Forschungsansätze zu unterstützen – „auch wenn wir wissen, dass einige dann nicht genutzt werden“. Melinda und Bill Gates sehen Leid, wie Unternehmer Probleme sehen: als Businesscase. Es werden Daten gesammelt, wird analysiert, kalkuliert und der Nutzen maximiert. Nur die Währung dieses Wohlfahrtskapitalismus hat sich geändert: Statt Dollar wird der Erfolg in der Zahl der Geretteten gemessen.