Was wie ein Paradoxon klingt, ist keines. Damals, im Jahr 1968, das natürlich lange vorhallte und nachklang, war die heimische Welt zwar im Auf- und Umbruch - aber trotzdem in Ordnung. Denn „die Jungen“ hatten, im Gegensatz zu heute, reichlich Flächen, um sich an „den Alten“ zu reiben und sich von ihnen abzugrenzen. Es war klar, wer auf welcher Seite stand und vor allem, wer welche Musik hörte. Mama und Papa schmolzen im Österreich des Jahres 1968 bei „Mama“ von Heintje dahin, die Sprösslinge huldigten gemeinsam mit den Stones dem Teufel. Und heute: Mama und Papa chillen zu Kanye und die Sprösslinge bedienen sich am Plattenschrank der Oldies. Verkehrte Welt. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Die Intensität der Wirkung und auch die Verfügbarkeit der Ware (schwarzes Gold, Vinyl) war zwar länderweise sehr unterschiedlich, aber global gesehen gilt: Rockmusik war der Soundtrack des Protests und ein maßgebliches Vehikel, um die Botschaften der Protestierenden weltweit und rasant zu verbreiten. Dass damals auch musikalische Monumente in die Ewigkeit gemeißelt wurden, ist eine schöne Begleiterscheinung.

Freilich, so homogen wie diese musikalische Revolution heute erscheinen mag, war sie nicht. Berserker wie der deklarierte Bürgerschreck Frank Zappa oder die brachialen MC 5 haben ihre Wut auf das „Schweinssystem“ ohne Rücksicht auf Verlust in die Welt gerotzt. Apropos Schwein: Die MC 5 waren auch dabei, als Studentenführer ein solches zum Präsidentschaftskandidaten küren wollten - eine Aktion, die damals von Polizisten brutal zusammengeknüppelt wurde. Dass Musik und Gegenkultur Hand in Hand gehen und dahinter trotz des Postulats der Spontaneität durchaus auch ein Plan steckt, daran lässt auch ein Statement des damaligen MC 5-Managers John Sinclair keinen Zweifel offen: „Rock 'n' Roll ist die Speerspitze unserer Attacke“, meinte er. „Mit unserer Musik ziehen wir nichts ahnenden Spießern das Geld aus der Tasche und machen ihre Kinder zu Revolutionären.“

Linke Ikonen wie Country Joe McDonald wiederum standen in der Tradition ihrer wegweisenden Folk-Vorbilder wie Woody Guthrie („This Guitar Kills Fascists“) und liefen vor allem gegen den Vietnamkrieg Sturm. Sein vor Sarkasmus triefender Song „I Feel Like I'm Fixin' to Die Rag“ wurde zur Protesthymne, zu deren schmissigen Klängen - was für eine perfide Ironie! - sogar die G.I.s in Vietnam ins Feld zogen. Im Text geht es unter anderem darum, dass amerikanische Eltern ermuntert werden, ihre Söhne möglichst schnell in den Krieg zu schicken. Dadurch würden sich die Chancen erhöhen, die ersten im Wohnblock zu sein, deren Sohn im Sarg heimkehrt.

Bob Dylan wiederum, die Ikone der Verweigerung, war zwar seit Beginn seiner Karriere explizit politisch, hat sich aber mit allen Kräften aus der Umarmung der institutionalisierten Protestbewegung, die ihn fast zu Tode erdrückt hätte, befreit. Nach einem schweren Motorradunfall 1966 zog er sich völlig ins Private zurück und kehrte dann 1967 mit gefälligen Country-Alben zurück, die wie aus der Zeit gefallen klangen und mit ihrem störrischen Anachronismus das aufgeladene Publikum nachhaltig irritierten.

Die „68er“ waren aber nicht nur gegen etwas, sondern auch für etwas. Dafür nämlich, möglichst viel aus diesem Leben rauszuholen, gerne auch mit allerlei vermeintlich oder tatsächlich bewusstseinserweiternden Substanzen. Die heute noch hochverehrte Trias dieser Generation - Janis Joplin, Jim Morrison und Jimi Hendrix - wird demnach weniger mit politischem Aktionismus in Verbindung gebracht, sie symbolisiert vielmehr einen exzessiven Hedonismus, der wenige Jahre später für alle drei in „The End“ münden sollte. Joplin und Hendrix starben 1970, Morrison ein Jahr später. „I Want It All And I Want It Now“ war eine schöne Parole, sie hatte aber einen hohen Preis.

Und sonst? Was haben die beiden „Big Player“ zur Verbesserung der Welt beigetragen? Musikalisch gesehen viel. Die Beatles haben ihr legendäres „White Album“ in die Umlaufbahn geschickt, die Stones haben mit „Beggars Banquet“ eines ihrer besten Alben aufgenommen. Einschlägig ideologisch haben diese Wortführer der Popkultur aber einigermaßen ausgelassen. Die Beatles waren erst Anfang des Jahres 68 von ihrem Indien-Selbstfindungstrip zurückgekehrt. Das „Weiße Album“ enthielt zwar pflichtgemäß einige politische Statements, doch in Wahrheit waren die Fab Four, die bald ihren Schwanengesang anstimmen sollten, massiv mit dem Establishment verstrickt. Als Polit-Aktivist und Friedensapostel hatte der Solokünstler John Lennon erst später sein Erweckungserlebnis. Die Stones wiederum, vor allem der vermeintliche Rebell Mick Jagger, heften sich gerne den „Street Fighting Man“ auf die Fahnen, doch in Wahrheit ist der Song alles andere als eine pflastersteinschwere Schlachthymne. „Denn im verschlafenen London ist einfach kein Platz für einen Straßenkämpfer.“

„The End“ auch kollektiv: Die 60er-Jahre waren im Ausklingen. Ein Jahr später, 1969, ging das Woodstock-Festival über die Bühne. Und danach wurde aus der Musik-Bewegung ein Musik-Business. Aber in Österreich war auch Ende 1968 noch alles gut. Hier verdrängte Heintje mit „Heidschi Bumbeidschi“ die Beatles von der Spitze der Hitparade.