In den fünf Jahren, in denen Éric Cantona in Old Trafford auf dem Platz stand, sangen die Fans von Manchester United ihrem Helden immer ein Ständchen mit dem Ruf „Ooh aah, Cantona!“. Jetzt, 27 Jahre nach seinem Rücktritt vom Fußball, singt er selbst. Kürzlich hat der Franzose sein erstes Live-Album veröffentlicht, „Cantona Sings Éric – First Tour Ever“. Nun ist er mit diesen Songs, die er bei seinen Auftritten im vergangenen Jahr aufgenommen hat, auf 14-tägiger Tournee von Rotterdam über London bis – natürlich – Manchester.

Sein Einstieg in die Musik sollte nicht überraschen: Der Mann hat sich bereits als Schauspieler neu erfunden, mit zahlreichen Engagements, darunter in Shekar Kapurs erfolgreichen Historienfilm „Elizabeth“ mit Cate Blanchett (1998), in „Looking for Eric“ (2009), in dem sich Regie-Legende Ken Loach in humorvoller Weise mit dem Ikonenstatus des ehemaligen Fußballstars von Manchester United auseinandersetzte. Oder in der Netflix-Serie „Inhuman Resources“. Außerdem hat sich Cantona auch in der Malerei und Poesie versucht.

„Ich habe mich schon immer für die Kunst begeistert“, sagt der 57-Jährige, der beim Video-Interview in seinem Haus in Lissabon sitzt. „Ich war mir immer sicher, dass ich mich nach dem Sport in der Welt der Kunst ausdrücken würde, und zwar in verschiedenen Arten von Kunst. Und wenn ich die Möglichkeit hätte, dies mit dem Publikum zu teilen, vor allem in einem Theater oder beim Musizieren, dann würde ich das lieben“.

Alles begann im letzten Jahr, als Cantona eine EP mit vier Titeln veröffentlichte und eine Reihe von Konzerten im Vereinigten Königreich und in Europa spielte, die selbstredend in Manchester begannen. Der Abend in der Stoller Hall war das erste Mal, dass er seine Songs vor Publikum spielte. Es war eine Reise in „eine andere Welt, völlig unbekannt, ohne jegliche Erfahrung. Und das hat mir gefallen, ich mochte das Abenteuer. Ich hatte zuvor noch nicht einmal in einer Bar gespielt. Ich bin verrückt genug, mich der Welt auf diese Weise auszusetzen. Aber es war ein toller Abend für alle.“

Cantona liebt es exponiert, nur zwei Musiker sind mit ihm auf der Bühne, ein Pianist und ein Cellist. Ein bisschen anders also, als mit zehn Teamkameraden auf dem Feld zu stehen. „Die Leute haben mir gesagt, dass der Anfang besonders schwer ist, denn man kann sich hinter nichts verstecken. Aber selbst wenn wir nur zu dritt sind, ist es immer noch ein Team. Wir müssen zusammenarbeiten und einander zuhören – individuell arbeiten, aber für die Gruppe.“

Sich mit Cantona zu unterhalten, ist eine faszinierende Erfahrung. Sein Bart, die buschigen Augenbrauen und der französische Akzent tragen zu seiner starken Aura bei, die auch durch die Bildschirme nicht getrübt wird. Es ist mitten am Vormittag, und er trägt entspannt ein rotkariertes Hemd und einen Trilby-Filzhut, der schnell zu seinem Markenzeichen wurde. Er denkt über jede Frage nach und antwortet oft mit Umschweifen. Das liegt nicht daran, dass er ausweicht; vielmehr hat man das Gefühl, dass er selbst hinter den einfachsten Fragen eine tiefere Wahrheit finden möchte.

Über seine Erfahrungen mit Musik sagt er: „Wenn ich zu Hause bin und Musik höre, kann sie mich in eine andere Welt versetzen. Musik ist ein Teil des Menschseins. Und wenn ich auf der Bühne stehe  und die Energie des Publikums teile, ist das ein unglaubliches Gefühl. Fast so stark wie im Sport.“

Cantona schrieb vor zwölf Jahren erstmals Songtxte, nicht für sich selbst, sondern für seine Frau Rachida Brakni; mit der aus Marokko stammenden französischen Schauspielerin ist er seit 2007 verheiratet, sie haben zwei Kinder -  Émir (14) und Selma (10 ). Und er erzählt, wie die Musikredakteurin eines berühmten französischen Kulturmagazins (er nennt den Titel bewusst nicht) sich weigerte, ein Album anzuhören, „dessen Texte von einem ehemaligen Fußballer geschrieben wurden“. Später schrieb Cantona unter dem Pseudonym Auguste Raurich einen Song namens „Le Temps Passe“ für die Band Lady Sir von Brakni. „Sie fragten dieselbe Kritikerin, ob sie das Album gehört habe, und sie sagte, ihr Lieblingssong sei ,Le Temps Passe‘!“

Er macht eine Pause, um die Gerechtigkeit des Ganzen wirken zu lassen, bevor er nach der tieferen Bedeutung sucht. „Manchmal gibt es Leute, die denken, nur weil jemand dieses gemacht hat, kann er nicht in jenem gut sein. Aber ich als Mensch, ob Künstler oder nicht, möchte einfach spannende Erfahrungen machen und mich in verschiedenen Arten von Kunst ausdrücken“.

Der aus Marseille stammende Franzose hat alle Nummern auf seinem Debütalbum selbst geschrieben. Einer der Songs auf der EP mit dem Titel „I‘ll Make My Own Heaven“ enthält übersetzt die Zeilen: „Ich war heldenhaft, ich war kriminell, ich war engelhaft, ich war ein Inferno, du hasst mich, du liebst mich, ich werde nur von mir selbst beurteilt.“ War das autobiografisch, vielleicht eine Anspielung auf seinen berüchtigten Kung-Fu-Tritt auf dem Weg in die Kabine gegen einen Crystal-Palace-Fan im Jahr 1995, der dem Enfant terrible eine neunmonatige Sperre einbrachte? „Das ist eine Anspielung auf das und auch auf andere Dinge“, sagt er.

Cantona kommt auf diejenigen zu sprechen, die seine Musik beeinflusst haben und deren Stil auf dem Album deutlich zu hören ist. „Mit Sicherheit kann ich sagen, dass Nick Cave für mich ein großer Künstler ist, Leonard Cohen ist ein großer Künstler, Jacques Brel ist ein großer Künstler, Jim Morrison, Serge Gainsbourg. Die Leute, von denen ich denke, dass sie starke Persönlichkeiten sind und ihren eigenen, einzigartigen Stil geschaffen haben, sind wirklich inspirierend“.

Im Gespräch zeigt sich, das sich Cantona seiner außergewöhnlichen Talente nur allzu bewusst ist, was ihn aber nicht davon anhält, sich über sich selbst als „Ikone“ auch lustig zu machen. „Ich spiele mit dem Legendenstatus. Ich spiele jeden Tag damit, nicht nur mit den Fans und den Journalisten, sondern auch mit mir selbst. Ich bin mutig genug, um viele Dinge zu tun, aber ich bin auch mutig genug, um Selbstironie zu haben. Sie ist eine starke Waffe und sehr wichtig. Ohne sie würden wir alle den Verstand verlieren.“

In seiner Zeit als Fußballspieler wurde er der Rockstar der Premier League genannt. War es also unvermeidlich, dass er tatsächlich Musiker wurde? „Es war unvermeidlich, dass ein Rockstar zum Fußballer wurde“, stellt er mit breitem Grinsen schnell richtig, denn „ich war schon in Rockstar, ehe ich Fußballer wurde. Das wurde mir in die Wiege gelegt.“

„Wenn ich auf der Bühne stehe und die Energie des Publikums teile, ist das ein unglaubliches Gefühl. Fast so stark wie im Sport“
„Wenn ich auf der Bühne stehe und die Energie des Publikums teile, ist das ein unglaubliches Gefühl. Fast so stark wie im Sport“ © AFP
Cantona 1996 im Dress von Manchester United
Cantona 1996 im Dress von Manchester United © IMAGO