Von nun an geht's bergab! Das klingt ungewöhnlich entspannt für das, was kommt. 950 Kilometer liegen vor uns. Gut, dass die Weitwanderroute ganz oben startet, am Dachstein. Ein Umstand, der nicht nur schon zu Beginn einen ersten kartografisch bestätigten Höhepunkt (2700 Meter) liefert, sondern von der Bergstation am Hunerkogel - so etwas wie das exklusivste Penthouse der Steiermark - auch eine atemberaubende Fernsicht bis zum Triglav in Slowenien bietet. So kann man aus diesem Dachfenster des Landes die gesamte Strecke bis zum Ziel in Bad Radkersburg bereits überblicken.

Das Guttenberghaus hat mehr als 100 Jahre auf dem Buckel
Das Guttenberghaus hat mehr als 100 Jahre auf dem Buckel © (c) Herbert Raffalt

Bergabperspektive hin oder her: Dieser Weg, er wird ein weiter sein. Zaghaft setzen wir unsere Wanderschuhe in den weichen Sommerschnee am Schladminger-Gletscher und wandern vom „Stoa“, wie der Dachstein von den Einheimischen genannt wird, in einer ersten Halbtagesetappe Richtung Guttenberghaus.

Auf den ersten Blick erscheint die Karstlandschaft rundherum eintönig und abweisend. Doch bei genauerem Hinschauen eröffnet sich eine formenreiche Welt aus kreidebleichem Kalkgestein und zarten Gewächsen. Das im Regenwasser gelöste Kohlendioxid aus der Luft zersetzt die Oberfläche des Gesteins und lässt ungewöhnliche Formen und skurrile, wie von Künstlerhand geschaffene Oberflächen entstehen.

Der Weg führt uns, unter der Südwand des Sinabell entlang, über die Feistererscharte zum Hölltalsee. Der türkisgrün schimmernde Bergsee inmitten der Karstlandschaft ist eine Ausnahmeerscheinung. Eigentlich dürfte es ihn hier gar nicht geben, da die vielen Risse und Dolinen im Gestein das Wasser normalerweise schnell „verschlucken“ und erst viel weiter unten wieder ausspucken.

Dichter Bodo Hell hütet im Sommer Tiere auf der Grafenbergalm
Dichter Bodo Hell hütet im Sommer Tiere auf der Grafenbergalm © (c) HERBERT RAFFALT

Mit jedem Höhenmeter, den wir tiefer steigen, wird die Landschaft grüner und üppiger. Auf der Grafenbergalm treffen wir Bodo Hell. Der Dichter und Hirte ist seit mehr als 40 Jahren auf der Alm, um mit großer Sorgfalt nach den Tieren zu schauen. Tagsüber ist er aber nur selten bei seiner Hütte anzutreffen. Meist ist er unterwegs, um in seinem weitläufigen Paradies nach dem Rechten und den ihm anvertrauten Tieren zu sehen.

Es geht weiter Richtung Stoderzinken. Am Steinerhaus ist unser Tagesziel erreicht. Ein Ort, von dem schon Peter Rosegger schwärmte: „Was soll ich schreiben, mir fällt nichts ein in diesen Bergen voll Sonnenschein, als schweigen und selig sein.“