Durch die enge Straße weht eine heiße Brise und lässt die alten, gusseisernen Werbetafeln an den Hausfassaden sanft schaukeln. Nur der dumpfe Klang der Schritte ist auf dem Kopfsteinpflaster zu hören, gesprochen wird nicht. Die Blicke der Besucher sind auf ihr Ziel gerichtet, das Schloss Azay-le-Rideau. Magisch zieht es die Reisenden an, während die alten Eichenbäume am Portal Stück für Stück mehr vom ehrwürdigen Prunkbau preisgeben und einen ersten Blick auf die von rosaroten Hortensien umrahmte Zufahrt zum idyllischen Park des Wasserschlosses freigeben.
Azay-le-Rideau ist das wohl bekannteste der Loire-Schlösser. Als beliebtes Fotomotiv und Werbemittel für die Region ist es aus dem Westen Frankreichs schon um die ganze Welt gereist. „Das Schloss wurde drei Jahre lang renoviert und ist seit dem Vorjahr wieder geöffnet. Man kann es besichtigen“, erklärt Touristenführerin Céline Chaigneau und geht auf den zweiflügeligen Renaissancebau zu. Imposant steht das Schloss aus hellem Tuffstein im glitzernden Wasser und fordert allein schon durch seine Größe Respekt. „Erbaut wurde Azay-le-Rideau im 16. Jahrhundert vom Schatzmeister des Königs. Der hat es aber mit den königlichen Finanzen nicht ganz so genau genommen und fliehen müssen. Damals gab es hier noch eine Zugbrücke“, sagt Chaigneau.
Ein malerischer Weg führt um das Schloss und lässt die Besucher von längst vergangenen Zeiten träumen. Wie es wohl war, als noch ein Burgherr und seine Dame das Sagen auf der Residenz hatten? Oder der Besuch eines hohen Würdenträgers angesagt war? Ein bisschen wehmütig wirft der eine oder andere beim Verlassen der Parkanlage ein Blick zurück auf das Wasserschloss.
Durch kleine Gassen gelangt man schließlich in den Ortskern von Azay-le-Rideau. Zahlreiche Touristen tummeln sich in den kleinen Cafés unter den Sonnenschirmen und versuchen, den besten Platz mit Blick auf die Straße zu erhaschen. Gesprochen wird neben Französisch hauptsächlich Englisch. Und zu sehen gibt es einiges. Während die einen über die sommerliche Bekleidung der Passanten diskutieren, fachsimpeln andere über die britischen Oldtimer, die ihre Runden in der Stadt ziehen. Für anerkennende Blicke und erstaunte Gesichter sorgt ein britischer Sportwagen, ein viersitziger, rechtsgesteuerter Morgan Plus 4. So schnell der schnittige Klassiker in der Farbe „British Racing Green“ zwischen den engen Gassen erschienen ist, so schnell ist er auch wieder verschwunden. „Azay-le-Rideau ist ein besonderes Städtchen. Man weiß nie, was hinter der nächsten Straßenecke wartet“, sagt Chaigneau und lacht.
Dieses Schloss ist aber längst nicht das einzige faszinierende Bauwerk im Loiretal. 58 Kilometer weiter östlich liegt das Königsschloss Clos Lucé in Amboise. Der Maler, Ingenieur und Naturphilosoph Leonardo da Vinci hat die letzten drei Jahre seines Lebens hinter den roten Backsteinziegeln des Schlosses verbracht. Die großzügige Parkanlage und die Ausstellungsräume im Inneren des Schlosses erinnern heute noch an den Einfallsreichtum und den feinen Geist des Universalgenies.
Während im und ums Schloss Clos Lucé mit Ausstellungen für das geistige Wohl gesorgt ist, ist Ingrid Prevost um die leiblichen Gelüste der Kulturreisenden bemüht. In ihrem kleinen Café „Le Maître d’Art“, nur wenige Schritte vom Schlossportal entfernt, zaubert sie traditionelle französische Leckerbissen mit modernem Einschlag. Cremige Karamelltorten und fruchtige Apfeltartes buhlen um die Gunst der Genießer. „Ein Stück Kuchen macht glücklich“, sagt Prevost, die um die Anziehungskraft des Backwerks weiß.
Auf dem Weg nach Blois entlang der flachen Loire laden aber auch die zahlreichen charmanten Ufercafés zu entspannten Stunden ein. Hier ist es ein Leichtes, die Seele baumeln zu lassen und mit einem Glas Muscadet seinen Gedanken nachhängen.
Muscadet ist ein trockener Weißwein, der typisch für das Loiretal ist. „Meine ältesten Rebstöcke sind aus dem Jahr 1912. Ich produziere hier ausschließlich diese Sorte. Etwas anderes kommt für mich gar nicht infrage“, sagt Winzer Günther Chéreau und schmunzelt. Sein 45 Hektar großes Weingut liegt in Saint-Fiacre-sur-Maine und er bewirtschaftet es nach wie vor selbst. Um das herrschaftliche Anwesen mit dem markanten runden Taubenschlag jedoch zu beleben, werden immer öfter Hochzeiten hier veranstaltet. „Diese schönen, alten Mauern müssen mit Leben gefüllt werden. Alles andere wäre eine Schande“, erklärt Chéreau.
Um auch das Schloss Blois weiter östlich im Landesinneren ins Bewusstsein der Besucher zu rufen, gibt es dort jeden Abend ein Spektakel. Um 22 Uhr werden alle Lichter im Innenhof des Schlosses aus vier Bauzeiten gedimmt und eine Ton- und Lichtshow auf der Schlossfassade beginnt. Mittelalterliche Klänge erfüllen den Innenhof des Bauwerks und ziehen die Besucher in ihren Bann. Dann beginnt eine Stimme, eine dramatische Geschichte von Vertrauen und Enttäuschungen am Königshof zu erzählen. Als Burgherr und dessen Dame hatte man es auch nicht immer leicht.
Martina Pachernegg