Es begann auf der Seestraße von Trausdorf an der Wulka. Plötzlich stand da am Straßenrand ein Weißstorch. Er blickte nach links, ich hielt mit dem Auto an, er blickte nach rechts, das Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn blieb stehen und dann erst stolzierte der große Vogel mit eleganten Schritten über den imaginären Zebrastreifen.

Er hatte seinen Tag wohl mit einem Frühstück auf den Äckern beim Trausdorfer Sportplatz begonnen und war jetzt auf dem Weg zur ersten Jause auf die „Hutweide“ am anderen Ende des kleinen Ortes.

Hutweiden waren einst dem Weidevieh vorbehalten, da sie wegen des kargen Bodens weder Wein- noch Ackerbau zuließen. Die etwa hundert Hektar große in Trausdorf ist ein bedeutendes Trockenrasengebiet und Heimat einer der größten Zieselkolonien Österreichs. Farbenprächtige Pflanzen wie der Wiesensalbei, das Eisenkraut und die Kartäuser- oder Steinnelke dominieren die frühsommerliche Szenerie.

In der Trausdorfer Hutweide lebt eine der größten Zieselkolonien Österreichs
In der Trausdorfer Hutweide lebt eine der größten Zieselkolonien Österreichs © Ivan/stock.adobe.com (Ivan Godal)

Der Storch hebt von hier aus mit kräftigen Flügelschlägen ab, um seine Verwandtschaft im rund 20 Kilometer Luftlinie entfernten Illmitz, mitten im Nationalpark Neusiedler See, zu besuchen. Das ist gewissermaßen ein Vogelhupf für ihn, der bis zu 500 Kilometer täglich zurücklegen kann und dabei eine Geschwindigkeit von 50 km/h erreicht. Auf seinem Weg bewundert der elegant schwebende Vogel entlang der Wulka in Trausdorf aufgestellte Skulpturen. Sie sind während drei Bildhauersymposien im Ort entstanden.

Es geht weiter über St. Margarethen bis hin zum Kogelberg. Der durch die Opernfestspiele berühmt gewordene „Römersteinbruch“ am Fuß des kleinen Berges ist österreichweit einer der ältesten noch aktiven Werksteinbrüche. Sein Kalksandstein ist durch Lagunenablagerungen wie Muscheln, Korallen und Knollaugen entstanden. Er war ideales Ausgangsmaterial für die dort mitten in der Natur stehenden Skulpturen berühmter Bildhauer wie Friedrich Czagan, Heinrich Deutsch und Karl Prantl.

Der Uferstreifen des Neusiedler Sees ist eines der wichtigsten Brutgebiete der Graugänse in Mitteleuropa
Der Uferstreifen des Neusiedler Sees ist eines der wichtigsten Brutgebiete der Graugänse in Mitteleuropa © Hannah Assil/Nationalpark Neusiedler See

Seit 2019 gibt es mit dem „Weg über den Berg“ einen Rundgang, der zu den Steinskulpturen führt und dazu atemberaubende Aussichten in Richtung Rust am Neusiedler See und über die Wulkaebene und das Leithagebirge bis hin zum Schneeberg bietet.

Auch hier auf den Trocken- und Halbtrockenrasen gibt es eine artenreiche Flora und Fauna zu bestaunen: Schmetterlinge unterschiedlicher Art tanzen durch die Lüfte, eine Smaragdeidechse sonnt sich neben einer Skulptur, ein Ziesel schlüpft aus seiner Höhle, um sogleich wieder im hohen Gras zu verschwinden.

An seinem schrillen „Kie-wi“ erkennt man den Kiebitz akustisch, optisch am schillernden Gefieder
An seinem schrillen „Kie-wi“ erkennt man den Kiebitz akustisch, optisch am schillernden Gefieder © Hannah Assil/Nationalpark Neusiedler See

Meister Adebar gleitet hinunter zum See, nicht ohne noch einen Blick auf die Freistadt Rust, den mit rund 1900 Einwohnern kleinsten Verwaltungsbezirk Österreichs, zu werfen, wo im Sommer viele Schornsteine von seinen Artgenossen bewohnt werden. Die malerische Altstadt mit ihren hübschen Bürgerhäusern aus dem 16. bis 19. Jahrhundert ist denkmalgeschützt. Gepflegte Barock- und Renaissancefassaden reihen sich aneinander und Heurige laden zum Verweilen ein.

Ein Flügelschlag weiter und der Storch sieht Mörbisch mit seinen Hofgassen, die links und rechts von der Hauptstraße abzweigen. Dieses Ensemble mit den eng aneinandergereihten Häusern hat es zu Recht in die Liste des Weltkulturerbes der Unesco geschafft.

Und dann ein Gesamtkunstwerk der Natur, der Neusiedler See, mit seiner einzigartigen Vielfalt an unterschiedlichen Pflanzen und Tieren. Von oben sieht man gut, dass der See an der trockenen Witterung leidet – der Wasserstand ist niedrig. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, unweit des Strandbades Illmitz, brüten Kiebitze und Graugänse im Seichtwasser.

Sie tun das normalerweise in den Salzlacken, die heuer aber ausgetrocknet sind. Was die Vögel zum Umzug zwingt, stört Insekten, Krebse und Salzpflanzen nicht. Sie lieben die salzhaltigen, kargen Böden.
Unser Freund, der Storch, wird von hier am Abend zurückfliegen. Denn zum Frühstück will er wieder in Trausdorf sein.

Mehr zum Thema