Klick macht es in Venedig auf Schritt und Tritt. Jeder Tourist fotografiert. Die stolzen Gondolieri in ihren herausgeputzten Holzschiffchen haben sich daran längst gewöhnt. Wenn das Klicken allerdings zu einem regelrechten Sturm anschwillt, sind sogar sie irritiert. Denn das Interesse der Schaulustigen aus aller Herren Länder gilt nun nicht mehr den einheimischen Fährmännern, sondern diesem furchtbar untraditionellen, neumodernen Zeugs: den bunten Kajaks, die immer öfter vor der historischen Kulisse der Lagunenstadt gesichtet werden.

Durch Venedig zu paddeln, ist die sportliche Alternative zur Benützung von Vaporetto, Wassertaxi oder Gondel. Empfehlenswert ist diese Art der Fortbewegung allerdings nur in der Begleitung kundiger Guides. Wer zum ersten Mal an so einer Tour teilnimmt, outet sich durch blöde Fragen. Ein besonders schönes Beispiel dafür lautet: „Wie ist das jetzt mit der Eskimorolle?“ Reiseveranstalter und Guide Heinrich Breidenbach lächelt dann ebenso milde wie beruhigend: „Wir sind ja nicht im Wildwasser unterwegs.“ Die Boote sind absolut stabil und trotzen auch den hohen Wellen, die von manchmal rücksichtslosen Taxibooten und größeren Gefährten verursacht werden.

Ich sitze vorne im Zwei-Mann-Kajak. Die Technik war anfangs gewöhnungsbedürftig, doch seit ich sie beherrsche, fühlt sich das Paddeln im Gleichklang fast schon meditativ an. „Es ist ein sanfter Sport, bei dem Erholung, Spaß, Nähe zur Natur, maßvolle Anstrengung, Sicherheit und Gemeinschaft im Vordergrund stehen“, erklärt Breidenbach die Philosophie seines Unternehmens genusspaddeln.at.

Wir gleiten unter Brücken hindurch und nehmen die weltberühmte Stadt aus ungewohnter Perspektive wahr. Wer von vorangegangenen Besuchen glaubt, sich an Venedig längst sattgesehen zu haben, wird eines Besseren belehrt. Auf Augenhöhe sind Details zu erkennen, die sonst untergehen: verwitterte Löwenköpfe, Altarnischen, bröckelnde Mauern. Das klingt idyllisch, ist es aber nicht immer. Die Kanäle werden nicht nur als Verkehrswege genutzt, sondern teilweise  immer noch als Kanalisation. Das kann man manchmal sehen und auch riechen.

Ohne klare Verkehrsregeln geht es auch in Venedig nicht. Einige kleinere Kanäle sind für Kajaks und kleine Boote reserviert, auf ihnen kann man die Lagunenstadt von Nord nach Süd und umgekehrt durchqueren. Nur auf dieser Route darf man den ansonsten gesperrten Canal Grande queren, dem gesamten anderen Verkehr ist dabei jedoch Vorfahrt zu gewähren. Hier wimmelt es von Gondeln, Motorbooten und Vaporetti – keine Strecke für schwache Nerven. Ein weiterer wichtiger Sicherheitshinweis: Mit einem Meter Tidenhub gibt es in Venedig die höchsten Gezeiten im Mittelmeer. Das kann starke Strömungen verursachen und man muss aufpassen, nicht zu stranden.

Ausgangspunkt der Kajaktouren ist die Bauern- und Gemüseinsel Sant’Erasmo. Wir wohnen dort in der gemütlichen und preiswerten Pension Lato Azzurro, die schon längst nicht mehr als Geheimtipp gilt. Je nach Verfügbarkeit der Betten ist die Basis der Wassersportler manchmal aber auch auf Campingplätzen und anderen Inseln. In den vier Tagen werden übrigens nicht nur die Kanäle Venedigs erpaddelt, sondern auch die 55.000 Hektar große Lagune. So peilen Breidenbach und sein Guide-Kollege Thomas Rötzer unter anderem die einsame Klosterinsel San Francesco del Deserto oder bekanntere Inseln wie Burano, Murano oder Torcello auf neuen Wasserwegen an. Bei Landgängen werden die Kajaks einfach in Hinterhöfen oder, was bei der venezianischen Dichte sakraler Bauwerke nicht ungewöhnlich ist, auch einmal vor einer Kirche „geparkt“.

Die meisten Paddler kommen jedes Jahr am Pfingstsonntag aus ganz Europa zur Vogalonga. Das ist eine 30 Kilometer lange Ruderfahrt durch die Lagune und Venedig, an der alle Wasserfahrzeuge teilnehmen können, die von Muskelkraft angetrieben werden. Die 30 Kilometer lange Rundstrecke beginnt und endet am Markusplatz. Auch das Team von genusspaddeln.at ist dann mit seinen bunten Kajaks dabei und wird sicher wieder zum beliebten Fotomotiv werden.