Swakopmund. Klingt wie Peenemünde. Schaut auch ein bisschen so aus: Fachwerkhäuser, deutsche Straßennamen, Schwarzwälder-Kirschtorte auf der Speisekarte im Café. 50 Meter entfernt: das Meer. Auf der anderen Seite: die Wüste. Wir sind nicht auf Usedom, sondern in Namibia.

Zehn Stunden Flug haben uns direkt von Frankfurt in Namibias Hauptstadt Windhoek getragen. Tutu ist unser Guide für die kommenden acht Tage und 2700 Kilometer. Er fährt uns von Windhoek nach Swakopmund, und von Swakopmund an den Rand der Wüste Namib.

Gleich hinter dem Küstenort ist nur noch Sand. Und am Rande des Sandes wartet Tommy. Tommy kutschiert den Jeep, mit dem wir aufbrechen zur „Living Desert Tour“. Erleben, dass Wüste nicht Leblosigkeit bedeutet, ist das Ziel der Tour.

Fluss ohne Wasser

Tommy erfreut uns mit einer Belehrung darüber, was vor „mund“ steht, „Swakop“ nämlich, Durchfall, oder, wie es Tommy nennt, „Spritzfurz“, in der Sprache der Nama und Damara. Meist ist er trocken, der Fluss, der hier in den Atlantik entwässert, aber bei starkem Regen führt er große Mengen von Schlamm aus der Wüste mit sich. Daher der nette Name des Ortes an der Mündung.

Tommy ist ein witziger Typ, aber es ist nicht sein Schmäh, der uns nicht mehr loslassen wird, später, wenn wir uns an die Tour erinnern. Es ist sein Blick auf Dinge, die nur er sehen kann und die wir nicht gesehen hätten ohne ihn. Wir kurven durch Schotter, dann durch Sand. Tommy bleibt stehen und hüpft aus dem Jeep. Erst auf sein Zeichen hin verlassen auch wir den Wagen. Wir sehen nichts. Tommy sah Spuren, und jetzt sehen sie auch wir. Was wir wenig später wahrnehmen: Eine Sandviper, hoch giftig, kaum zu sehen in ihrer Kuhle im Schatten der Pflanze, in der sie sich eingegraben hat. Tommy holt sie aus dem Sand und gibt sie wieder frei. Schlängelnd vergräbt sie sich erneut. „Bauchtanz“ nennt es Tommy.

Fressen und gefressen werden

Wir entdecken Chamäleons entlang der verrotteten Geleise einer alten Bahn. Wir beobachten die Käfer, die sich am Morgen, wenn die Luft vom Meer herüber noch feucht ist, aufstellen, „Arsch hoch“, wie es Tommy formuliert, um Wassertröpfchen aufzufangen und in den Mund rinnen zu lassen. Fressen und gefressen werden – die Chamäleons freuen sich auf die saftigen „Nebeltrinkerkäfer“.

Tommy fängt den schnellsten Gecko der Welt, und dann bleibt uns unter der sengenden Sonne der Rest der versiegenden Spucke weg: Der barfüßige Mann, der erst bei 60 Grad heißem Sand wieder in Schlapfen schlüpft, legt den seidigen Tunnel einer Spinne frei, den sie sich in die kühle Tiefe gegraben hat – wie hat er den gefunden? Und er baggert mitten im Nirgendwo einen Palmatogecko aus: ein Lebewesen, das nur in der Tiefe des Sandes existieren kann, weil seine Haut so dünn und lichtempfindlich ist. Behutsam gräbt er ihm einen Eingang, damit er den Weg zurück ins schützende Dunkel findet.

Der Palmatogecko - tief vergraben im kühlen Sand
Der Palmatogecko - tief vergraben im kühlen Sand © Gigler

Wir sind leise geworden, dankbar dafür, dass sich uns eine unsichtbare Welt erschließt. Und schuldbewusst, als uns Tommy die vielen Spuren von Autos, Quads und Motorrädern in der Wüste zeigt. „Eine Spur bleibt 90 Jahre. Und alles, was sich darunter an Leben befunden hat, ist tot.“ Spaß macht es trotzdem, das Driften durch die Dünen mit dem Geländewagen – auf einigen Wegen ist es erlaubt.

Fliegen über die Schotterpiste

Jetzt „fliegen“ wir mit Tutu über die Schotterpiste, nur wenige Straßen in Namibia sind asphaltiert. Das Fahren dort will gelernt sein – mit 70, 80 Stundenkilometern brettert Tutu übers Land. Alles, was langsamer ist, bedeutet ein Holpern und Stolpern auf vier Rädern. Das Fahren mit Miet-Pkw oder Reisemobil ist in Namibia gut möglich, und erlaubt ein individuelles Tempo. Tipps vom Autoverleih für Verkehrsregeln (Linksverkehr) und Fahrweise schaden dabei nicht.

Mit uns fährt Tutu. Rund 350 Kilometer pro Tag werden wir am Ende unserer Reise zurückgelegt haben. Die Landschaft zieht vorüber, und immer wieder öffnet der studierte Tourismusfachmann und perfekte Chauffeur uns ein Fenster hinaus in die Natur.

Blick auf die Sterne, ohne störendes Licht

Unterwegs in der zerklüfteten Kuiseb-Schlucht wähnt man sich in Kurdistan, doch Oryx-Antilopen, Springböcke und Strauße säumen den Weg. Der Wendekreis des Steinbocks, am Ende des Tages das „Namib Dune Star Camp“ – zehn Bungalows in den Weiten der Wüste, hoch oben in den Dünen. Als die Sonne den Sand berührt, übertrifft das tiefe Orange des Sonnenuntergangs jenes des fruchtigen Drinks. Lamm zum Abendessen, dann zieht sich das Personal zurück, und es bleibt nichts als der Blick auf die Sterne als Nachtprogramm: Das Doppelbett lässt sich auf die Terrasse schieben, man wacht unter dem Sternenhimmel, der Blick ungetrübt vom Lichtermeer der Zivilisation.

Der nächste Höhepunkt: Sossusvlei. Der Sand wird röter, die Dünen höher. Der Namib Naukluft Park ist das größte Schutzgebiet in Namibia, hier sind die höchsten Dünen der Welt. Und man kann sie besteigen: Wie Ameisen machen sie sich aus, die kleinen Menschen, die im Lichte des Sonnenaufganges auf Düne 45 klettern.

Menschliche Ameisen erklimmen die Düne 45
Menschliche Ameisen erklimmen die Düne 45 © Gigler

Weiter gehts’s zum Dead Vlei, einer Tonpfanne, aus der die Skelette toter Bäume in die Landschaft ragen. Am Abend die „Elegant Desert Lodge“. Das knallige Grün des Rasens blendet. Wo das Grundwasser heraufgepumpt wird, gibt es Nass in Strömen für Tiere, Pflanzen und Menschen.

Eindrucksvolle Gerippe in der Landschaft als Kulisse für Selfies
Eindrucksvolle Gerippe in der Landschaft als Kulisse für Selfies © Gigler

Am Abend die Elegant Desert Lodge. Das knallige Grün des Rasens blendet und erinnert daran: Wasser ist ja genügend da, in der Wüste, nur nicht an der Oberfläche. Wo das Grundwasser heraufgepumpt wird, ist Nass in Hülle und Fülle für Tiere, Pflanzen und Touristen da.

Großmannssucht zur Zeit des Diamantenrausches

An den wilden Pferden von Garub führt tags darauf die Fahrt nach Lüderitz vorbei. Sie stellen sich pünktlich an der Wasserstelle ein. Danach: Kolmanskuppe. Deutsche Großmannssucht zur Zeit des Diamantenrausches: Eine der ersten großen Eismaschinen, eines der ersten Röntgengeräte (um die Leute auf gestohlene Diamanten hin zu untersuchen). Heute nur noch eine Ansammlung verlassener Häusergerippe. Erinnerung auch an düstere Vergangenheit, das Gemetzel am Volk der Hereros 1904.

Gut 25.000 Deutsch-Namibianer gibt es, die schwarze Bevölkerung gliedert sich in elf Stämme. Alle lernen Afrikaans, die gemeinsame Sprache verbindet. Tutu ist Ovambo: „In meiner Familie sprechen wir Englisch, Deutsch und Afrikaans. Wir fühlen uns einfach als Namibianer.“ Kein Krieg mehr, alle wollen Frieden.

Geisterstadt nahe der Diamant-Mine: Die Wüste erobert Zentimeter um Zentimeter zurück
Geisterstadt nahe der Diamant-Mine: Die Wüste erobert Zentimeter um Zentimeter zurück © Gigler

Der Fish River Canyon ist die nächste Station, zweitgrößte Schlucht der Erde nach dem Grand Canyon in den USA.  4 – 5 Tage dauert der Abstieg, nur geübte Wanderer tun ihn sich an. Übernachtet wird heute in der Canyon Lodge. Das Fleisch des Oryx auf dem Teller, die lebendigen Antilopen vor der Tür. Leben und leben lassen. Der abendliche Blick in leuchtend orange Weiten.

Der Fish River Canyon - zweitgrößter Canyon der Erde
Der Fish River Canyon - zweitgrößter Canyon der Erde © Gigler

Viele, die Nambia einmal den Rücken gekehrt hatten, kamen zurück. Fast jeder Deutsch-Namibianer geht zur Ausbildung einmal nach Deutschland oder Österreich, viele haben noch Verwandte dort, fast alle zieht es wieder nach Afrika zurück. Wir fragen Katrin, die gemeinsam mit ihrem Mann Datteln, Granatäpfel, Kaktus-Feigen und Pecanha-Nüsse destilliert – sie kamen von einem Weingut 800 Kilometer weiter nördlich hierher – was es ist, was sie in dieser kargen Gegend bleiben lässt. Die Ruhe, die Einsamkeit, die majestätische Überlegenheit der Natur. Wir lernen, zu verstehen.

Rot, röter, am rötesten

Der letzte Höhepunkt: Die Kalahari. Der Wald aus Köcherbäumen, aus dessen Ästen die Buschmänner ihre Pfeile schnitzten, liegt hinter uns, der Sand wird röter, die Tiere größer. Zebras und Giraffen kreuzen unseren Weg. In die Etoscha-Pfanne und ins Caprivi im Norden führt uns diese Reise nicht, oft steht die aber bei Namibia-Touren auf dem Programm: Dort gibt es auch Elefanten, Nashörner und ganz große „Katzen“.

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Unsere letzte Station vor der Fahrt zurück nach Windhoek ist die Kalahari Anib Lodge.

Ein feuriges Abendrot für den letzten Akt, bevor sich das Dunkel der Nacht, der Vorhang senkt.

Guide Tutu: Er fühlt sich in allen Sprachgruppen zu Hause
Guide Tutu: Er fühlt sich in allen Sprachgruppen zu Hause © Claudia Hilmbauer