Für übertriebene Eitelkeit ist es jetzt zu spät. Das Spiegelbild, das einem da entgegengrinst, erinnert an eine Mischung aus verträumtem Schlumpf und einsatzbereitem US-Navy-Seal: das Gesicht in martialischer Camouflagemanier vollgeschmiert mit einer schwarzbraunen Paste aus Torferde. Die Tarnung soll für die Gesichtshaut gesund sein. Ist möglich.

Auf dem Kopf eine schlammgraue Baumwollfrotteehaube mit antennenartig in den Himmel zeigendem Zipfel. Die Mütze soll gegen die Hitze schützen. Ist tatsächlich so. So sitzt man auf einer spartanischen Holzbank und peitscht sich mit einem Strauß vorher in Wasser eingetauchter Birkenäste in bester Büßermanier - einmal links über die Schulter, einmal rechts über die Schulter - selbst aus.

Spätestens an dieser Stelle muss einem alles egal sein. Zumindest das, was die anderen über einen denken. Aber die schauen mit der gleichen Schmierage am Körper und der gleichen Zipfelmütze auf dem Kopf in diesem Moment ohnehin nicht viel anders aus. Will man traditionelle finnische Rauchsauna-Kultur authentisch erleben, muss man eben die Schamgrenze hinter sich lassen (auch wenn man hier mit Badekleidung in der Sauna sitzt).

Die Schwitzhütte steht diesfalls in Finnisch-Lappland. Die russische Grenze ist in Sichtweite. Durch das kleine Fenster in der Saunatüre blickt man auf knorrig-krumme Bäume, die sich dicke Wintermäntel aus Schnee übergestülpt haben. Vereiste Trittspuren führen die paar Meter runter zum zugefrorenen See. Ein wackeliger Steg endet an einem dunklen Loch. Augenblicke später wird es einen verschlucken - und nach einer gefühlten Ewigkeit (tatsächlich waren es wenige Sekunden) wieder ausspucken.

Das vier Grad frische Wasser des Heikinjärvi (so heißt der See) hat da als natürliches Kältebecken nach dem Saunagang aber schon ganze Arbeit geleistet. So fühlt sich also ein Ganzkörperkälteschock an.

Mit dem Stolz des Überlebenden stapft man zurück. Zweite Runde. Also Saunazipfelmütze auf, Birkenast-Wedel her und noch einmal rein in die dunkle Saunakabine, wo unablässig Wasser auf die heißen Steine geträufelt wird, um die Luftfeuchtigkeit hoch zu halten.

Dass die ganze Prozedur unglaublich hungrig macht, merkt man erst später. Im Angesicht aufgespannter Lachsfilets, die wie Windsegel neben der offenen Feuerstelle stehen, zaubern Katja und Sirpa eine Art finnisches Tapas-Menü aus lokalen Köstlichkeiten im Häppchenformat auf die niedrigen Tische der Holzhütte. Die Schwestern betreiben eine kleine, familiäre Lodge, die hartnäckig, aber erfolglos versucht, sich den Status des Insidertipps zu konservieren. Man muss nur hinfinden.

Einfacher am Land- oder Luftweg zu erreichen sind die Wintersport-Hotspots wie Levi, Kuusamo, Rovaniemi oder Ruka. Sie liegen allesamt in Griffweite zum Polarkreis, jenem Breitenkreis in 66 Grad Nord, an dem die Sonne an den Tagen der Sonnenwende gerade nicht mehr auf- oder untergeht, also hinter dem Horizont bleibt (im Winter) oder erst gar nicht dahinter verschwindet (im Sommer). Das macht die Jahreszeiten hier speziell, vor allem den Winter.

200 Tage Schnee im Jahr

Dass 200 Tage im Jahr Schnee liegt, ist das eine.  Das andere ist das ganz besondere Licht, vor allem rund um Weihnachten. So richtig hell wird es da zwar nie, aber die indirekte Sonneneinstrahlung taucht die Landschaft für rund fünf Stunden in ein mystisches Himmelsfarbengemisch aus Blau-, Rosa-, Orange- und Rottönen. Ski fahren und langlaufen kann man trotzdem. Die meisten Loipen und Pisten werden mit leistungsstarkem Flutlicht beleuchtet.

Der Schnee ist aufgrund der trockenen Kälte selten patzig, auch die Luft fühlt sich durch die geringe Luftfeuchtigkeit gar nicht so kalt an, wie man mit Blick auf das Thermometer glauben möchte: Minus 20 Grad sind keine Seltenheit.

Das macht Outdooraktivitäten zum Härtetest für die Kleidung. Sei es bei nächtlichen „Safaris“ zwecks Nordlicht-Beobachtung - zweifelsfrei eines der spektakulärsten Naturschauspiele dieses Planeten. Oder beim Schneeschuhwandern durch den Oulanka-Nationalpark nördlich von Kuusamo, wo man zwischen Kiefern, Birken und Fichten der Wasseramsel bei der Futtersuche zuschauen kann.

Sie ist der einzige Singvogel, der bei der Futtersuche bis zu 30 Sekunden untertauchen kann - hier in den klirrend kalten Kitkajoki. Der Fluss dient aber auch als Kulisse fürs „Riverfloating“. Dabei steckt man seinen Körper in einen dicken, wasserdichten Overall samt Kapuze, legt sich ins Wasser und lässt sich von der Strömung flussabwärts treiben.

Wilder Ritt

Weniger passiv, weniger ruhig und weniger langsam geht es bei einer Schneemobil-Exkursion zu. Wiederum eingepackt in Thermoisolationskleidung, die einen nordpolfit macht, wird man nach einer kurzen Lenk- und Bremsübung am Parkplatz in die freie Wildbahn losgelassen. Im Konvoi geht es dann entlang von sanft geräumten Waldwegen dahin.

Recht schnell hat man sich an das Fahrverhalten des antriebsstarken Gefährts in Kurven gewöhnt und hat auch kapiert, dass es sinnlos und vor allem kräfteraubend ist, die vordere Kufe über sämtliche Bodenwellen hinweg krampfhaft in der Spur zu halten. Einfach den Gasknopf neben dem beheizten Griff drücken und den vorbeihuschenden Winterwald genießen. Das kann man hier tagelang machen, verrät der Guide. Allein rund um Levi gibt es ein 886 Kilometer langes Wegenetz für Motorschlitten.

Besuch beim Weihnachtsmann

Mit sanfter Mobilität hat das freilich wenig zu tun. Dafür müsste man auf andere „Verkehrsmittel“ umsteigen. Hundeschlitten zum Beispiel. Für die Mutigeren gibt's mancherorts noch eine andere Variante: Man schnalle sich Langlaufski an, hänge sich mit einer Art langer Leine an ein Rentier und lasse sich mit bis zu 60 km/h über einen gefrorenen See ziehen.

Nicht nur in Rovaniemi, der selbst ernannten Heimat des Weihnachtsmannes (man kann den Joulupukki genannten Rauschebart hier ganzjährig in seinem Postamt direkt am Polarkreis besuchen), werden Rentiere aber auch für gemütlichere Schlittentouren eingespannt. Die Ausbildung der Tiere ist aufwendig. Im ersten Jahr lernen sie, neben einem Menschen zu gehen; im zweiten einen leeren Schlitten zu ziehen und erst im dritten Jahr kommen Passagiere dazu.

Spätestens wenn man nach einer Runde gut durchgefroren wieder vom Schlitten steigt, sehnt man sich nach der Frotteezipfelmütze und dem Birkenast-Wedel.

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