Es ist kurz vor 22 Uhr, die Sonne ist längst untergegangen, der Abendwind ist warm und bläst kräftig. Die Anker werden gelichtet, es ist Zeit, aufzubrechen. Die meisten Passagiere stehen auf dem Sonnendeck, einige mit einem Glas Champagner in der Hand, alle haben die Blicke nach oben gerichtet. Nach und nach setzen die Matrosen mithilfe hydraulischer Winden die insgesamt 42 Segel. Begleitet von den archaischen Klängen von „Conquest of Paradise“ - eine Komposition des Griechen Vangelis - sticht die „Royal Clipper“ von Cannes aus in See.

Mit 134 Meter Länge ist der Fünfmaster derzeit das größte segelnde Passagierschiff, das auf den Meeren kreuzt. Wie sich Seefahrer vor mehr als 150 Jahren fühlten, lässt sich an Bord dieses Schiffes vor allem dann erahnen, wenn der Wind kraftvoll bläst und die mehr als 5000 Quadratmeter große Fläche der Segel prall füllt. Die „Royal Clipper“ ist ein nahezu originalgetreuer Nachbau des legendären Frachtseglers „Preußen“, selbstverständlich aufgemotzt mit modernster Technik.

227 Passagiere haben auf der Königin der Großsegler Platz, es gibt 114 Kabinen, davon 14 mit Balkon. Das Schiff ist mit vier Decks und allem ausgestattet, was man sich auf einer Kreuzfahrt erwarten darf: Pools auf dem Sonnendeck, einer Pianobar, einem Fitnesscenter, Spabereich, einer Bibliothek sowie einem abwechslungsreichen Unterhaltungsprogramm, das mit einer Turnstunde mit Charles am Morgen beginnt und einem ausgelassenen Tanzabend in der Tropical Bar endet.

Vor Portofino im Bilderbuch-Italien setzt die „Royal Clipper“ auf dieser Reise das erste Mal die Anker. Das Tenderboot wird zu Wasser gelassen, die meisten Gäste an Bord nutzen die Gelegenheit, das 500-Seelen-Dorf in der kleinen, geschützten Bucht am Golfo del Tigullio zu besuchen. Immerhin sind schon Sophia Loren, Brigitte Bardot und Frank Sinatra dem Charme von Portofino erlegen.

Die Royal Clipper setzte Anker vor Portofino
Die Royal Clipper setzte Anker vor Portofino © pure-life-pictures/stock.adobe.com

Und auch heute tummeln sich die Reichen und Berühmten in den engen Gassen des kleinen Fischerdorfes, schlürfen Champagner in den kleinen Bars am Hafen, schlendern durch die Luxusboutiquen und lassen sich bewundern. Entsprechend exklusiv sind auch die Anlegegebühren in der Marina di Portofino. Wer dort seine Jacht parken möchte, muss dafür knapp 2400 Euro pro Tag hinblättern.

Um 22 Uhr werden auf der „Royal Clipper“ wieder die Segel gehisst, wieder begleitet von Vangelis' Klängen und den staunenden Blicken der Passagiere. Die Ankunft in L'Île-Rousse, einem Hafenstädtchen in der Balagne an der Nordküste Korsikas, am nächsten Tag kurz vor Mittag findet nach Plan statt. Stéphanie Bouyrie erwartet ihre Gäste bereits auf ihrer Landwirtschaft Ernaghju. Auf 50 Hektar stehen insgesamt 1500 Olivenbäume.

Stéphanie Bouyrie baut feinste Oliven an
Stéphanie Bouyrie baut feinste Oliven an © Ernaghju

Die Korsin setzt seit vielen Jahren auf Germaine, eine fruchtige Olivensorte mit pikantem Abgang, und auf Sabine, eine besonders alte Sorte, die sich mit einem eher sanften Geschmack am Gaumen anlegt und leicht bitter entschwindet. Das Olivenöl, das die quirlige Bäuerin selbst presst, verkauft sie größtenteils direkt ab Hof. Und an ihre Gäste, die den Urlaub auf ihrem Campingplatz im Olivenhain verbringen.

Mehr Korsika gibt es am nächsten Tag in Calvi. Der Rundgang im Hauptort der Region Balagne führt zuerst hinauf zur Zitadelle. Von dort lässt sich am besten beobachten, wie die Soldaten der Fremdenlegion mit Fallschirmen über dem Meer abspringen. Es sind vor allem die Touristen, die das Training am Himmel gebannt verfolgen. Für die Bewohner von Calvi gehört das Spektakel längst zum Alltag. Seit mehr als 15 Jahren hat die legendäre französische Elite-Einheit in der Stadt eine fixe Niederlassung samt Kaserne in den alten Gemäuern der Zitadelle. „Heute sind die Fremdenlegionäre und ihre Familien ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor in der Region“, erzählt Fremdenführerin Carole.

Die Zitadelle von Calvi
Die Zitadelle von Calvi © Freesurf/stock.adobe.com

Ob Christoph Kolumbus tatsächlich in Calvi geboren wurde? Es muss erwähnt werden - immerhin gibt es auch ein Denkmal des berühmten Seefahrers -, auch wenn es bis heute nicht erwiesen ist. Am Hafen wartet Yann Barton mit E-Bikes. Seine Tour führt in die hügelige Umgebung außerhalb von Calvi und schließlich hinauf zur Wallfahrtskirche Notre-Dame de la Serra, die der Legende nach die Stadt und vor allem deren Fischer beschützen soll. Der Abstecher lohnt sich, denn von dort oben eröffnet sich eine fantastische Aussicht über die Bucht von Calvi bis hin zur nordkorsischen Bergwelt mit dem Monte Cinto.

An Tag fünf steht der Plage d'Arone samt Wanderung auf dem Programm, der Reiseführer beschreibt den Ort als einen der schönsten Strände Korsikas. Doch kurz nach dem Frühstück muss Kapitän Bruno Barowka eine Kursänderung bekannt geben, die korsische Behörde hat keine Ankererlaubnis erteilt. Eine Alternative ist bald gefunden. Die „Royal Clipper“ setzt die Anker am Plage de Sevani und schickt die Gäste mit Stand-up-Boards an den weißen Sandstrand. Dass die Wanderung ausfällt, stört nicht.

Am sechsten Tag werden Grenzen überschritten, wir segeln vor der Küste Südfrankreichs. Erster Landgang in Le Lavandou, einem Küstenort, der schon den belgischen Neoimpressionisten Théo Van Rysselberghe verzaubert hat. Er ließ sich am Ende der 1880er-Jahre im Viertel Saint-Clair nieder. Ebenso wie Henri Edmond Cross, Paul Signac, André Gide und Émile Verhaeren. Verewigt wurden die berühmten Bewohner auf dem „Chemin des Peintres“ (Weg der Maler). Auf dem 2,5 Kilometer langen Küstenweg zeigen 14 Tafeln Kunstwerke, die in Le Lavandou entstanden sind.

Von Sanary-sur-Mer bleiben vor allem die vielen bunten Fischerboote in Erinnerung, die sich am Hafen aneinanderschmiegen. Ebenso wie die Geschichten über Thomas Mann, Stefan Zweig und Bertolt Brecht, die dort während des Zweiten Weltkrieges Zuflucht fanden. Zum Abschluss dieser Reise gibt es dann noch das sprudelnde Leben von Saint-Tropez, samt Einkehrschwung im Club 55, dem berühmtesten Strandclub der Welt. Prickelt wie Champagner.

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