Er kringelt sich durch die Luft wie Korkenzieherlocken. In den Glasfassaden vereinen sich seine Spiegelungen zu Doppelhelices. Der Qualm des Räucherwerks liegt in Hongkongs DNA, sogar in den Tempeln des Mammons im Bankenviertel. Es kann nicht schaden, wenn auch die Heiligen ein Auge auf die Aktienkurse haben.

„In der Sonderverwaltungszone haben sich mehr chinesische Traditionen erhalten als in vielen Regionen der Volksrepublik“, erzählt Reiseführerin Inschi. Einen Steinwurf von den Luxuskathedralen von Prada, Chanel und Gucci entfernt wird mit getrockneten Fischblasen, Seepferdchen und Schwalbennestern gehandelt. Im Kühlregal im Supermarkt liegen Sushi und Kaviar neben gekochten Hühnerfüßen. Herd an Herd mit dem Allerweltsessen großer Ketten bereiten die Hände der Köche die Wantan-Suppen schneller zu, als die Augen des Westlers schauen können.

Dass die Stadt bis 1997 britische Kronkolonie war, sieht man nur mehr auf den zweiten Blick. „Bis auf wenige Ausnahmen wurden die Kolonialbauten abgerissen und durch Wolkenkratzer und Wohntürme ersetzt“, erzählt die gebürtige Hongkong-Chinesin, die mit ihrer Familie einige Jahre in Deutschland gelebt hat.

Aber da sind diese vielen untrüglichen Indizien: der Linksverkehr auf den Straßen. Der Englische Garten auf dem 552 Meter hohen Victoria Peak. Die kuriosen doppelstöckigen Straßenbahnen. Die mit Essig gewürzten Chips in der Skybar des Mandarin Oriental Hotels. Der Afternoon Tea in der Lobby des Peninsula, für den man sich in typisch britischer Manier artig bis vor die Eingangstür anstellt, wo die drei Rolls-Royce mit den Standarten des Hotels warten.

In den Antiquitätengeschäften im Viertel Sheung Wan herrscht friedliche Koexistenz zwischen Jadeschmuck und britischem Teegeschirr, Ansichten von Mao Zedong und idyllischen Dörfern in England. Wie London hat auch Hongkong ein Soho. Das Grätzel südlich der Hollywood Road sollte man sich nicht entgehen lassen.

Überhaupt: Wenn man in Hongkong auf etwas verzichtet, dann ist es Schlaf. Grelle Neonlichter, babylonisches Sprachengewirr, durchzogen von schrägem Hongkongpop in den gesteckt vollen Lokalen. Spannende Düfte aus den Kochtöpfen der Straßenküchen, die Ruhe in den winzigen Tempeln wie dem Man Mo zu den Füßen der Häuserriesen. Bunte Nachtmärkte mit Goldfischen in mobilen Aquarien, blinkenden elektronischen Gadgets und garantiert gefälschter Designerware - da hält es selbst die größte Schlafmütze nicht im klimatisierten Hotel.

Müßiggang spielt es bei Inschi sowieso nicht: „Heute gehen wir wandern.“ Ihre Worte treffen auf Verwunderung: Klar, man sagt Großstadtdschungel, aber . . .? In der Metropole kann man sogar ziemlich ausgiebig wandern, der Weg über den Drachenrücken gleich hinter den Wolkenkratzern ist der beliebteste. Während die goldenen Sandstrände an Hongkongs insgesamt 800 Kilometern Küste fest in der Hand der Touristen sind. „Wir Einheimischen lassen uns nicht bräunen, Blässe ist chic“, erklärt sie und cremt sich mit extrahohem Lichtschutzfaktor ein, als wir die Fähre vom Victoria-Hafen nach Lamma Island besteigen.

Die Skyline der City weicht dem beschaulichen, zwischen bewaldeten Hügeln eingebetteten Fischerdorf Sok Kwu Wan, dessen Bewohner Göttin Tin Hau einen Tempel erbaut haben, weil sie stets für Netze voller Meerestiere sorgen soll. Nach einer köstlichen Kostprobe im Rainbow Restaurant entzünden wir Räucherwerk bei Tin Haus Schrein. Es kann nicht schaden, sich mit ihr gut zu stellen.

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