Pro: Es muss ja kein Urlaub sein, wenn man sich außer Landes begibt. Aber die Österreicher wären gut beraten, sich auf der Welt ein wenig umzusehen, um Hochleistungen zu bestaunen, aber auch um die Heimat mehr zu schätzen. Von Frido Hütter.

Reisen, womöglich noch in ferne Gegenden der Erde, sind hierorts nicht gut angeschrieben. Nehmen wir als Beispiel die um diese Jahreszeit gerne an Politiker gestellte Frage: Wo machen Sie Urlaub? – Die meisten geben Ziele im Inland an. Radfahren in Niederösterreich, Schwimmen in Kärnten oder ähnlich. Die Mutigsten piepsen mitunter kühn: Wandern in Südtirol. Gehört ja irgendwie eh zu Österreich.

Und wenn sie schon einmal dienstlich ins Ausland müssen, wetteifern sie um die billigsten Sitze im Flieger und um die kürzeste Dauer ihrer Reise.
Vielleicht ist die mutlose Politik in diesem Lande, die Selbstdünstung im eigenen Saft ein Ergebnis dieser Stubenhockerei.

Nein, auch ich muss im Sommer nicht nach Palma oder Jesolo. In seiner Vielfalt ist Österreich so wunderschön, dass es töricht wäre, anderswo das Paradies zu suchen. Also rede ich auch nicht von Badebucht und Ballermann, die aufzusuchen wären. Nein, ich meine Reisen, die uns einerseits über die realen Zustände in aller Welt aufklären, die neidvoll staunen oder aber auch dankbar wieder heimkehren lassen.
Unser Militärattaché in der Ukraine erzählte mir einst, dass er beim Erwachen einen Arzt an seinem Bett vorfand, der ihm beschied, nur gegen 5000 Euro in bar könne er das Bypass-Material erwerben und einsetzen. Und für die Ärmsten kann dort schon ein entzündeter Blinddarm den Tod bedeuten. Vielleicht würde ein kleiner Ukraine-Urlaub unser gestörtes Bild von der heimischen Medizinversorgung zurechtrücken.

Oder wie wäre es mit Ruanda? Dort sind Einwegplastiksackerln seit zehn Jahren verboten, wir schaffen das bis heute nicht. Oder nach Da Nang und Saigon, für die Älteren von uns noch Brennpunkte des schaurigen Vietnamkrieges und nunmehr junge, dynamische Großstädte. Ganz zu schweigen von Schanghai, wo sich der gewaltige Aufstieg Chinas geballt abbildet.

Eigentlich sollte ein Fernostbesuch für alle Politiker Europas verpflichtend sein, damit sie eine Vorstellung von der ungeheuren Energie dieses Wirtschaftsraumes machen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen können. Oder doch eine Visite im Rust Belt der USA, dessen Städte mangels Arbeitsplätzen bis zu ein Drittel ihrer Einwohner verloren haben.
Bei uns herrscht so eine diffuse Unzufriedenheit. Nach dem jüngsten Wohlergehensreport der angesehenen Boston Consulting Group liegt Österreich unter 162 Ländern auf Rang vier. Vielleicht sollte man mehr reisen, um das wirklich schätzen zu können.

Kontra: Die Urlaubslaune wird schon durch den Blick nach oben getrübt: überall Kondensstreifen. Sie verweisen auf eine aus den Fugen geratene Mobilität. Wenn jetzt auch Asiens Mittelschichten reisen, ist das Weltklima am Ende. Von Ernst Sittinger.

Wir haben den ungetrübten Himmel verloren: Wer den Häuserschluchten entflieht und im freien Gelände nach oben blickt, sieht fast immer Kondensstreifen. Sie sind allgegenwärtige Wahrzeichen der Unrast, Symbole einer aus den Fugen geratenen Mobilität.

Dabei fängt die rastlose Raserei um den Erdball gerade erst an. Die Flugzeugflotte wird sich bis in 20 Jahren mehr als verdoppeln, sagt eine Studie. Fast 50.000 Flieger soll es bald geben, 540.000 Piloten werden gesucht. Fliegen ist die umweltschädlichste Reiseart, aber billig und daher beliebt. Das ist der freie Markt und ein bisserl auch das steuerfreie Flugbenzin.

Oder Kreuzfahrten: Die Schiffe werden immer mehr und immer wuchtiger. In Venedig überragen sie unerträglich die Silhouette. Aber lustig ist halt die Apartheid an Bord, wo im Bauch des Schiffes die Abfälle und Fäkalien verschwinden und auch die Schufterei der Verdammten sorgsam verborgen wird, während oben die Kapelle spielt. Titanic in Neuaufnahme, diesmal ohne Eisberg, denn der ist längst weg.

Gelangweilte Massen wälzen sich durch Innenstädte und über barrierefrei einbetonierte Berggipfel. Hält die Erde diese enthemmte Mobilmachung aus? Man muss schon sehr gut wegschauen können, um das zu glauben. Klimawandel und Wetterextreme künden lauthals vom Gegenteil.
Aber wir Globetrotter lassen uns unsere Urlaubslaune nicht sauertöpfisch vermiesen. Wir sammeln fröhlich Miles & More, posten braun gebrannt Bilder unter Palmen. Auch wenn man sonst angeblich sozial denkt, muss man doch weltweit wandern, golfen und auf Safari gehen dürfen. Sydney, Johannesburg und den Taj Mahal muss man gesehen haben.

Bei Lebensmitteln achten wir auf Regionalität, Obst aus Spanien ist verdächtig. Nur der Mensch selbst räumt sich das Recht auf weiteste Transportwege ein. Massenmigration gilt als Menschenrecht (zumindest nach Süden im Urlaub) und als Veredelung des Geistes obendrein. Wer sich verweigert, ist dumpf, provinziell, träge.

Bisher waren zum Glück nur einige Millionen Privilegierte unterwegs, ihr Reisen war eine Manifestation globaler Ungleichheit. Das wird jetzt anders. In Asien schließen Milliarden Menschen zur Mittelschicht auf, haben plötzlich verfügbare Einkommen. In Österreich geht bald der geburtenstärkste Jahrgang 1963 in Pension – und damit auf Reisen. Hoffentlich fragen uns unsere Enkel nie das, was wir unsere Großeltern gefragt haben: ob ihnen der ganze Wahnsinn wirklich niemals aufgefallen ist.