"Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen": Kurz muss ich an den wahlweise Karl Valentin oder Mark Twain zugeschriebenen Sinnspruch denken, lasse ich über das antike Theater von Delphi hinweg meinen Blick schweifen. Steile Felswände, hunderttausende Olivenbäume, dazu das schon von Weitem schimmernde Blau des Golfs von Korinth.

In dieses schöne Fleckchen Erde pilgerten über Jahrhunderte hinweg Mächtige aus ganz Griechenland, um sich am Apollo-Heiligtum die Zukunft vorhersagen zu lassen. Dort empfing sie die Pythia, auf einem Dreifuß über einer Erdspalte sitzend und dank schwefel- und methanhaltiger Gase in Trance versetzt. In Verbindung mit Gott stehend - "Enthusiasmus", wie unsere Begleiterin erläutert - gab Pythia die meist mehrdeutigen Orakelsprüche Apollos zum Besten. Die Hohepriester interpretierten diese dann für die Reisenden aus Nah und Fern.

Die Überreste des Tempels des Apollo
Die Überreste des Tempels des Apollo © Stefan Tauscher

Heimat der Philosophie

Im Altertum galt Delphi, rund zwei Autostunden von Athen entfernt, als Zentrum der Welt. Laut dem Mythos ließ Göttervater Zeus an den beiden Enden des Erdkreises zwei Adler aufsteigen, die sich in der Mitte trafen und dort den "omphalos" zu Boden fallen ließen. Eine antike Nachbildung des "Nabels der Welt" befindet sich heute am Ausgrabungsgelände, seit 1987 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.

Wir wandern den historischen Weg ins Tal hinunter, in Richtung Bucht von Itea. Der Boden ist wegen des Bauxits rot gefärbt, es riecht nach Thymian, das Gehtempo ist eher gemächlich. Die sechs rüstigen, älteren Herren vom örtlichen Bergsteigerverein halten regelmäßig inne, um über den Weg, die Politik oder das Leben an sich zu diskutieren und schlagartig wird mir klar, warum die Philosophie eigentlich nur in diesem Landstrich erfunden werden konnte.

Der historische Weg führt von Delphi bis zur Bucht von Itea.
Der historische Weg führt von Delphi bis zur Bucht von Itea. © Stefan Tauscher

"Erkenne dich selbst", stand ja auch passenderweise am Eingang des Apollo-Tempels. Möglichkeit zur geistigen Einkehr bietet das Kloster zum Heiligen Lukas (Hosios Loukas). In einer unberührten Landschaft gelegen, gehört das Weltkulturerbe zu einem der bedeutendsten byzantinischen Klöstern des Landes. Danach stoppen wir kurz auf einer windigen Anhöhe - eine Gedenkstätte erinnert an das Massaker von Distomo. Am 10. Juni 1944 fielen als Vergeltung für Partisanenangriffe 218 Ortsbewohner, vor allem Alte, Frauen und Kinder, brutalen SS-Schergen zum Opfer.

Mehr schroff als lieblich

Es ist ein ungewohntes Griechenland, mehr alpin denn maritim, mehr schroff als lieblich, weit weg von der hektischen, schmutzigen Metropole Athen und den vom Massentourismus geprägten Ägäis-Inseln. Die Menschen sind gastfreundlich und von jener hellenischen Gelassenheit, die man mal bewundert, die einen bisweilen aber auch leicht verzweifeln lässt.

Fährt man durch die Orte und Städte, merkt man hin und wieder an den verlassenen Geschäftslokalen jene Verwerfungen, die die Wirtschaftskrise seit einigen Jahren in der griechischen Gesellschaft verursacht. In einer kleinen Manufaktur werden aus Olivenöl Seifen gefertigt und mit Aromen wie Zimt, Jasmin, Lavendel oder Minze angereichert. Der erzielte Gewinn kommt einer Schule für behinderte Kinder zu Gute.

Auf sanften Tourismus setzt die Familie Argyriou mit dem einzigen Weingut der ganzen Region. "Wir kultivieren typische heimische Sorten, aber auch Sauvignon Blanc oder Pinot Noir. Unsere Weine exportieren wir bis nach China", erzählt Nikos Argyriou stolz. Wem die Verkostung zu Ehren von Dionysos zu viel wird, der kann übrigens in einem der sechs Gästezimmer übernachten.

Am Hafen von Galaxidi
Am Hafen von Galaxidi © Stefan Tauscher

Galaxidi, ein paar Kilometer südwestlich von Delphi gelegen, ist ein hübsches Hafenstädtchen, über den Kapitänshäusern aus dem 19. Jahrhundert erhebt sich die dem Heiligen Nikolaos geweihte Kirche. Im schattigen Innenhof des Hotels Ganimede bereiten wir gemeinsam mit Besitzerin Chrisoula Papalexi einen traditionellen Spanakopita zu. Blattspinat und Feta-Käse werden dazu gut durchgemischt, der Teig wird gerollt. "Dazu verwenden wir ein dünnes Holzstäbchen", zeigt Papalexi es gekonnt vor.

Kochen mit Chrisoula Papalexi
Kochen mit Chrisoula Papalexi © Stefan Tauscher

Reiz der Kontraste

Das Endergebnis mundet, in der Ferne ist der Anfang März noch schneebedeckte, fast 2500 Meter hohe Parnass zu sehen. Die Heimat der Musen ist für wenige Wochen im Jahr Anziehungspunkt wohlhabender Wintersportler aus Athen. Im Bergdorf Arachova werden Webteppiche angeboten, der ortstypische Käse Formaela und – wer mag – auch kleine Sokrates-Statuen. In einem Sportgeschäft blickt mir dann plötzlich das Konterfei von Österreichs Ski-Star Anna Fenninger entgegen. Delphi als Wintersport-Eldorado, wer hätte das vorhergesagt?

STEFAN TAUSCHER

Österreichs Ski-Star Anna Fenninger als Werbeträgerin - in einem griechischen Wintersportgeschäft (Arachova)
Österreichs Ski-Star Anna Fenninger als Werbeträgerin - in einem griechischen Wintersportgeschäft (Arachova) © Stefan Tauscher