Guy Feldmann hatte schon lange genug von der ewig wiederkehrenden Reduktion seiner Heimat auf zwei Themen: auf den Konflikt mit den Palästinensern und den Holocaust.

Und er wusste: Dass Israel das Land mit der höchsten Computerdichte weltweit ist, jenes mit der größten Anzahl an Museen pro Kopf, auch jenes mit der höchsten Geburtenrate im Westen und den zweithöchsten Buchneuerscheinungen, beeindruckt wenig. Israel bleibt bei den Österreichern weiterhin, was sie glaubten, dass es ist: Nahostkonflikt und Holocaust.

Wer nicht hören will, muss fühlen. Diesen Satz kennt auch Guy Feldmann, stellvertretender Missionschef der israelischen Botschaft in Wien. Deshalb ließ er die argumentativ oft nur schwer zugänglichen Österreicher am Wiener Donaukanal "wos gspürn". Nämlich die Stimmung jener Stadt, die vor 100 Jahren gegründet wurde. Feldmann legte mitten in Wien einen "Tel Aviv Beach" an. Ein Stück Strand mit hohem Chillfaktor, auf dem junges Kulturgut am Puls der Zeit ebenso geboten wird, wie verschärfte Entertainment-Acts und kulinarische Genüsse. Mit einem Wort: Leichtlebigkeit abseits der belastenden Historie. Israel ohne Jerusalem, Hebron und Gaza - dafür aber mit viel Lebensfreude.

Tel Aviv ist tatsächlich die Stadt, die niemals ruht. Dort kann man selbst in der heiligen Shabbat-Nacht beim mitternächtlichen Wechsel von den Restaurants in Bars und Clubs einen Verkehrsstau erleben. Und wer die Stadt tagsüber erlebt, der spürt, wie viel positive Energie in kreative Kunst, aber auch in High-Tech-Forschung und Kommunikation fließt.

Tel Aviv, der "Hügel des Frühlings" ist immer sonnig und nicht selten auch überdreht. So war Monate lang ein Lokal der Hit der Szene, in dem Teller aus feinstem Porzellan aufgetragen wurden, auf denen sich aber keine Speisen befanden. Der Wirt wollte damit die Nouvelle Cuisine karikieren. Dafür war der Gast bereit, sogar 50 Dollar zu zahlen.

Offene Stadt

Tel Aviv ist eine am Meer gelegene und damit offene Stadt, in der es vom Strand bis ins innerstädtische Wirtschaftszentrum nur wenige Gehminuten sind. Da kann es schon vorkommen, dass eine nur spärlich bekleidete Strandschöne neben Herren mit Laptop im selben Lokal ihren Kaffee schlürft. Das regt niemanden auf. Es spiegelt vielmehr die Lebenssituation wider, aus der die Stadt 1909 gegründet wurde. Man wollte der Enge Jaffas entfliehen und plante eine grüne Gartenstadt, in der europäische Werte wie Freiheit sowie Gleichheit hoch gehalten werden und in der die Rabbiner hinter den Synagogenmauern bleiben sollten.

Tel Aviv, das gerne als "erste zionistische Stadtgründung der Neuzeit" bezeichnet wird, ist nur bedingt zionistisch. Denn es stand schon immer im Gegensatz zu den zur selben Zeit gegründeten ersten Kibbuzim. In diesen wurde das zionistische Ideal der landwirtschaftlichen Arbeit hoch gehalten und an der Scholle geackert, in Tel Aviv hingegen verdiente man sein Geld mit Bildung und Handel.

Kurzes Gedächtnis

Vor allem aber ist die Stadt eine Anti-These zu Jerusalem: Die den drei Buchreligionen heilige Stadt ist etwa 3000 Jahre alt, Tel Aviv gerade 100. Die eine repräsentiert mit dem Gott der Juden, dem der Christen und jenem der Muslime viel Heiligkeit und Historie. Die andere aber ist ein unbeschriebenes Blatt, weitgehend ohne religiöse Bezüge, dafür mit umso mehr hebräischem Selbstwertgefühl, das gegenwartsorientiert ist.

Die Stadt ohne Geschichte, deren 400.000 Einwohner aus 120 Ländern kommen, ist zudem jung und reich: Das Durchschnittsalter seiner Einwohner liegt bei 34 Jahren. Ihr Einkommen liegt deutlich über dem Landesschnitt. In ihr leben Tierschützer und Homosexuelle, Anarchisten und Literaten, Umweltaktivisten, Sympathisanten für die Palästinenser, Bohemiens und sogar ein paar ultraorthodoxe Juden, die viel besser nach Jeruslaem passen würden, weitgehend konfliktfrei nebeneinander. Der Anschlag auf ein Schwulenlokal vor wenigen Tagen und auch das tödliche Attentat auf den Premier Jitzhak Rabin im November 1995 zeigen: Auch diese Stadt steht nicht gänzlich außerhalb der israelischen Probleme. Nur vergisst man sie hier schneller als im übrigen Land.

Guy Feldmann hat es einige Wochen lang geschafft, die Unbeschwertheit Tel Avivs nach Wien zu bringen. Dann aber haben Sympathisanten der Palästinenser am gegenüber liegenden Ufer des Donaukanals einen "Gaza Beach" installiert. Ein Versuch, die Lebenslust zu beeinträchtigen. Das ist aber nicht gelungen. Denn vom israelischen Tel Aviv ist Gaza so unendlich weit entfernt, dass man es nur via Medien wahrnimmt. Und in Wien liegt der Gaza Beach auch weit weg: am anderen Ufer.