Es geschah am helllichten Tag. Gabriella Arditi hat es mit ihren eigenen Augen gesehen. "Wir waren spazieren. Da stürzt dieses Wesen plötzlich herab und schnappt der kreischenden Passantin im Flug das Sandwich aus der Hand. Es war eine Möwe, unglaublich." Die Römerin Arditi eilte dem Opfer zur Hilfe. "Die Frau hatte einen großen Schrecken bekommen, aber passiert war ihr zum Glück nichts."

Szenen wie diese häufen sich in Italien. Besonders aus Touristen-Metropolen wie Venedig und Rom dringen Berichte über eine regelrechte Möwenplage, die fantasievolle Beobachter bereits an das Horrorszenario aus Alfred Hitchcocks Film "Die Vögel" (1963) erinnert. In Venedig hat jetzt der Heimatverein, die Associazione Piazza San Marco, Alarm geschlagen - mit einem Manifest gegen die Möwen.

Tauben in Lebensgefahr

Larus michahellis oder Mittelmeermöwe nennt sich der früher nicht als aufdringlich auffallende Vogel. Doch mit der Zurückhaltung des gelbfüßigen Königs der Mittelmeerlüfte ist es vorbei. "Die neuen Generationen der Möwen sind im Vergleich zu vor ein paar Jahren aggressiver geworden und haben keine Angst mehr vor den Menschen", schreibt der Vereinsvorsitzende Alberto Nardi in einem offenen Brief an die Stadt. Venedig war einst für seine Massen an Tauben auf dem Markusplatz berühmt. Doch die müssen in der Lagunenstadt nun um ihr Leben fürchten.

"Die Möwen fallen über die Tauben her, verschlingen sie vor den Augen der Touristen und oft kann man sehen, wie sie sich mit millimetergenauer Präzision auf die Tabletts der Kellner auf dem Platz stürzen", heißt es in dem Brief. Nicht selten würden Erwachsenen und Kindern ihre Happen oder ihr Eis von den gierigen Vögeln aus der Hand gerissen. Von "Killer-Möwen" schrieb auch schon der eigentlich nicht für künstliche Aufregung bekannte "Corriere della Sera".

Auch die Angestellten der Etablissements auf dem Markusplatz bestätigen die Plage aus der Luft. "Die Möwen sind präpotent, mit den Tauben sind sie fürchterlich", berichtet Stefano Stipitivich vom Caffè Florian. Insbesondere das 16 Euro teure Club-Sandwich des Caffè Florian mit Truthahn, Käse, Tomaten, Eiern und Steinpilzcreme habe es den Möwen angetan.

Auch aus Rom werden Horrorszenarien gemeldet. "Ich habe gesehen, wie eine Möwe eine Katze verspeist hat", schreibt ein Nutzer auf Twitter. Die "gabbiani", wie sie auf Italienisch heißen, sind allgegenwärtig. In Scharen kreisen sie krächzend über dem Nationaldenkmal an der Piazza Venezia oder über der Mülldeponie am Stadtrand und ernähren sich von Abfällen.

Hier liegt offenbar der Kern des Problems. Während sich die Mittelmeermöwe in den Küstenregionen bisher vor allem von Fischen und Meerestieren ernährte, sind die von Menschen und immer mehr Müll überfüllten Städte für sie ein wesentlich bequemerer Lebensraum. Natürliche Feinde gibt es dort keine, Essensreste, überfüllte Mülleimer und herumliegende Mülltüten dafür zur Genüge.

"Je mehr diese Möwen essen, desto schneller vermehren sie sich und werden aufdringlich", sagt der römische Verhaltensforscher Enrico Alleva. Der Müll der Zivilisation ziehe Tischgenossen wie Ratten, Raben, Mäuse und Möwen an. "Die Schuld daran haben wir ganz alleine", sagt Alleva.