Im Dorf Wan Seng im abgelegenen Bergland Nordostbirmas geht es an diesem Tag hoch her. Den Knaben des Dorfes steht das größte Ereignis ihres bisherigen Lebens bevor. Sie werden geschminkt, in kostbare Gewänder gehüllt und mit Geschenken überhäuft. Mit ihren goldenen Brokatkleidern und den kronenartigen Kopfbedeckungen sehen sie wie kleine Prinzen aus. Dann geht es in einer pompösen Prozession zum nächstgelegenen Kloster. Dort aber ist Schluss mit lustig. Vor dem Eingang müssen alle Geschenke zurückgelassen werden. Man nimmt ihnen die kostbaren Gewänder ab, den Schmuck und die Schminke. Stattdessen wird ihnen der Kopf kahl geschoren, und man legt ihnen safrangelbe Mönchsroben an. Mit dem Eintritt ins Kloster sind sie zu Namenlosen geworden. So wie einst der indische Prinz Siddhartha Gautama, der auch seine Komfortzone verließ, den Prunk und den Reichtum, in den er hineingeboren war, ablegte wie ein nutzlos gewordenes Organ und in die Hauslosigkeit zog, um sich frei von hinderlichem Ballast auf Erkenntnissuche zu begeben.

Wo alles begann

Das ist nur eine von vielen Begegnungen auf meiner Reise auf den Spuren des Buddha, die mich kreuz und quer durch Asien führt. Sie beginnt da, wo alles seinen Anfang nahm, in der weiten Gangesebene zu Füßen des Himalaya. Dort hat Siddhartha Gautama vor mehr als 2500 Jahren als Sohn einer lokalen Fürstenfamilie das Licht der Welt erblickt, hat unter einem Baum in drei aufeinanderfolgenden Nächten die erleuchtende Erkenntnis erlangt, ist barfüßig mit der Bettelschale durchs Land gezogen. Als er schließlich im Alter von 80 Jahren starb und ins Parinirvana einging, war seine Existenz ausgelöscht. Was er als Vermächtnis hinterließ, ist sein Lebensbeispiel, die Lehre, die er in knappen Reden mündlich dargelegt hatte. Der historische Buddha war nämlich ein schrift- und bildloser Buddha, aber er war mit Sicherheit ein wortgewaltiger und charismatischer Buddha. Erst Jahrhunderte nach seinem Ableben wurde die Lehre schriftlich in Sri Lanka fixiert, auf einem Bündel Palmblättern - in Pali, der Sprache des Buddha.

Wenn man heute durch Asien reist, lässt sich trotz allem Nacheifern westlicher Moderne der prägende Einfluss Indiens erkennen. Als "Guru der Nationen" hat Mahatma Gandhi sein Land einst bezeichnet. Damit sind nicht nur die beiden spirituellen Traditionen - Hinduismus und Buddhismus - gemeint, sondern ein ganzes Paket zivilisatorischer Errungenschaften, das in viele Teile Asiens importiert wurde.

Die Saat ging auf

Die Khmer Könige, die das Wunder der weltgrößten Tempelstadt Angkor erbauen ließen, trugen indische Namen, regierten ihr Reich auf der Basis des indischen Verwaltungssystems und konvertierten zuerst zur Hindu-Religion und später zum Buddhismus. Auf dem Seeweg erreichte der Samen indischer Kultur die Inselwelt Indonesiens und ging dort auf. Ein letzter Rest dieser von Indien inspirierten Kultur findet sich bis zum heutigen Tag auf der kleinen Nachbarinsel Bali. Sie zählen zu jenen "Wundern aus Stein, jenen Speichern für Seele und Herz", von denen Saint-Exupéry spricht. Doch kein anderer Inder hat Asien nachhaltiger geprägt als Siddhartha Gautama, der zum Buddha wurde. Seine Lehre durchdrang alle Lebensbereiche. Der japanische Zen-Buddhismus beeinflusste nicht nur die Architektur, sondern auch die Gartengestaltung, ja sogar die Essgewohnheiten. Im Vergleich zum Lebenskreis des historischen Buddha Gautama ist der Raum, den seine Lehre durchdrang, gewaltig groß. Weder die höchsten Gebirge der Welt noch die öden Wüsten an der Seidenstraße erwiesen sich dabei als unüberwindliche Hindernisse.

Zurück an den Ursprung

Die Lehre Buddhas erreichte das Dach der Welt genauso wie die Oasen der Takla Makan und Gobi. Während sich in den Wüsteneien die Spuren Buddhas nur noch in verwehten Ruinen zeigen, betrachten sich die Tibeter als Bewahrer des großen Erbes des indischen Buddhismus. Es ist ein Paradoxon der Geschichte, dass durch die chinesische Aggression in Tibet und den Exodus der buddhistischen Elite nach Indien dieses Erbe wieder an den Ursprung zurückkehrt. Auf diese Weise mag sich jene Prophezeiung des indischen Gelehrten Padmasambhava erfüllen, der im 8. Jahrhundert den Buddhismus nach Tibet brachte. "Wenn der Metallvogel fliegt und die Pferde auf Rädern dahinrollen", so orakelte er sinngemäß, "dann werden die Tibeter wie Ameisen verstreut sein und die Lehre des Buddha kommt in die fernsten Länder".