Im Hitzesommer 2018 wurden uns die Vor­boten des Klimawandels verdeutlicht. Wird dies Auswirkungen auf unseren Lebensstil haben, werden wir unseren ökologischen Fußabdruck nun verkleinern?
FRED LUKS: Nein. Es ist zu ­befürchten, dass dieser Sommer schnell wieder vergessen wird. Ich glaube aber schon, dass sich etwas geändert hat: Vor 20 Jahren hätte man sich über einen tollen Sommer gefreut, jetzt denken sich viele, wieso ist das so, irgendwie ist das schon komisch. Vielleicht ist das schon Teil des Kulturwandels.

Die Hitze überzeugt uns vom Klimawandel?
Der Klimawandel ist real – das wissen viele Leute heute. Aber sie glauben es noch nicht wirklich. Normale Leute, vom Landwirt bis zur Verkäuferin, haben erkannt, dass etwas nicht stimmt. Aber ich bin skeptisch, was die Änderung des Verhaltens Einzelner betrifft.

Reichen dazu extreme Klimaereignisse nicht aus?
Sie helfen, aber wesentlich ist, dass die Preise die ökologische Wahrheit sagen. Für Experten ist es unstrittig, dass wir eine ökologische Steuerreform brauchen – nur politisch ist das total umstritten. Daher ist dieser Stimmungsumschwung so wichtig. Einzelpunkte reichen nicht mehr, wir brauchen eine Veränderung der Rahmenbedingungen.

Diese sind aber nicht einmal am Horizont sichtbar.
Davon sind wir zwar meilenweit weg, aber Sie fragen mich, was notwendig wäre. Erst kürzlich habe ich bei einer Exper­tenenquete im Nationalrat gesagt: Gerade wenn man an den Markt glaubt, muss man sagen: „Ja, er ist ein geniales Allokationsinstrument, aber nur, wenn die Preise stimmen.“ Immer mehr Leute verstehen, dass das kein Spaß ist. Eine Welt, in der die Durchschnittstemperatur 3 oder 4 Grad wärmer ist, ist eine völlig andere Welt. Die kann man mit der jetzt nicht mehr vergleichen.

Warum sind wir so ignorant den Fakten gegenüber?
Die Hoffnung, dass sich Leute innerhalb bestehender Strukturen nachhaltig verhalten, ist ­extrem unglaubwürdig. Für erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik ist es sogar gefährlich, wenn man schon Schülern einredet, sie müssten jetzt die Welt retten. Oder den Menschen beim Wohnen oder Autofahren. Das ist zwar wichtig. Aber schauen Sie: Ich war in den letzten drei Jahren dreimal in Asien. Wenn Sie sehen, was dort abgeht, dann könnte ich den ganzen Tag mit einer 747 durch die Gegend fliegen, es würde keinen Unterschied machen. Und trotzdem ist es nicht wurscht, was wir hier treiben.

Wir brauchen also beides?
Ja. Strukturänderungen und ­einen ökologischen Lebensstil. Es ist ja auch für das eigene Leben besser, wenn man nicht die totale Ökosau ist. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Europa einmal Modell für die Welt sein wird. Was wir jedenfalls nicht brauchen, ist Hoffnungslosigkeit.

Sie meinten einmal, ein Problem sei es, dass der Klimawandel nicht emotionalisiert ist. Das hat sich nun geändert, oder?
Ja. Ein Beispiel: Ich bin nach Hause nach Nordwestdeutschland gefahren – meine 74-jährige Mutter hat noch nie so trockene, braun-graue Felder gesehen. Das macht was mit den Menschen. Es macht ja auch wirtschaftlich etwas. Es ist kein Gutfühl-Thema mehr, sondern ein ökonomisches Hardcore-Problem. Der Klimawandel ist eine existenzielle Frage.

Wir lernen nur durch negative Erfahrungen?
Das glaube ich nicht. Ein Pro­blem der Nachhaltigkeit ist ja diese Verzichtsrhetorik. Leute empfinden diese als fad und einschränkend. Man muss das umdrehen. Ein Beispiel: Wie schön könnte Wien sein, wenn es weniger Autoverkehr gäbe? Und man kann ja mit Nachhaltigkeit auch viel Geld verdienen.

Das reine Verstehen, dass der Klimawandel uns an den Abgrund führt, reicht nicht?
Wissen hilft relativ wenig. Denken Sie an Lottospieler und Kettenraucherinnen. Alle wissen, was das Problem ist, trotzdem passiert viel zu wenig. Es gibt ja auch viel Konjunktur von einfachen Lösungen, die uns retten sollten – aber die gibt es nicht.

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Wir sind quasi süchtig nach unserem klimafeindlichen ­Lebensstil?
Wir sind total bequem. Zur Emotionalisierung müssen daher Ansätze für Lösungen kommen.

Die angesprochene ökologische Steuerreform?
Die Klima- und Energiestrategie in Österreich hat positive Ansätze. Wir könnten doch jetzt, als Inhaber der Ratspräsidentschaft in Europa, sagen, wir setzen uns EU-weit für eine ökologische Steuerreform an.

Die Ökologie ist auf der Agenda kein Thema?
Gerade die Überschrift „Ein Europa, das schützt“, könnte man ökologisch interpretieren: Schutz vorm Klimawandel – und nicht nur vor Ausländern.

Wie radikal müsste die Steuerreform denn sein?
Sie muss spürbar sein. Sie muss individuelles Verhalten ändern und den technologischen Fortschritt in eine bestimmte Richtung drehen. Nach der Ölkrise ist die Energieproduktivität stark nach oben gegangen. Die Idee ist, dass es dafür einen längeren Pfad gibt, wo Energie und Ressourcen teurer und ­Arbeit billiger wird.

Wie würden sich die Preise denn ändern, wenn sie ökologisch wahr wären?
Grundsätzlich ist es so, dass Dinge, die unökologisch her­gestellt werden, teurer werden. Die Folgekosten der Produktion und des Transportes hineinzurechnen ist superkompliziert – aber eben nicht unmöglich.

Die Autofahrer werden sich wieder als Melkkühe der Nation empfinden?
In diesen Zeiten braucht man eben politischen Mut – aber an dem fehlt es.

Wann wird es dem Verbrennungsmotor endgültig an den Kragen gehen?
Ich bin wahnsinnig gerne in Velden und sitze am Corso – vermutlich jenem Ort in Europa mit der höchsten PS-Zahl. Da fahren Ferrari, Jaguar, Porsche vorbei. Unfassbar. Ich kann die Faszination von Autos ja nachvollziehen. Diese Faszination des Autos wird auch nicht so schnell vergehen. Das Modell des Individualverkehrs mit Verbrennungsmotor ist aber am Ende. Das Problem: Der Elek­tromotor ist keine Alternative.

Warum?
Zwei Dinge gehen in der Diskussion um die E-Mobilität unter. Zum einen: Welche Ressourcen braucht man, um diese Automobile herzustellen? Und – das ist ja beinahe grotesk – woher kommt eigentlich der Strom? In der Stadt Ningbo südlich von Schanghai haben sie die Kleinmotorräder von heute auf morgen auf E-Fahrzeuge umgestellt. Das bringt eine Verbesserung der lokalen Luftqualität. Aber wenn 50 Kilometer entfernt ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht, ist das auch nicht sehr ökologisch. Die Vorstellung, dass die Welt mit Individualverkehr nachhaltiger werden kann, ist total verrückt. E-Mobilität ist maximal ein Zwischenschritt. Die Art, wie wir Mobilität leben, muss sich ändern.

Wann wird das letzte Auto mit Verbrennungsmotor angemeldet?
Vielleicht in 15 Jahren. Aber Sie wissen ja, Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.

Das wird die Autoindustrie schwer treffen.
Massiv. Was dazukommt: Man braucht weniger Leute und Teile, um Elektroautos zu bauen.

Aber noch verteidigen wir mit Zähnen und Klauen unsere westliche Lebensweise!
Aber da wird etwas brüchig. Ein Faktor ist ja die Bequemlichkeit, die Verdrängung und die Normalität. Um das zu erschüttern, muss schon etwas passieren. Aber Nachhaltigkeit ist ja nicht unser einziges Pro­blem, bei Weitem nicht. Wir erleben überall die Eskalation, das ist schon sehr bedrohlich.

Wir erleben einen permanenten Ausnahmezustand?
Unsere Gegenwart ist durch eine fundamentale Paradoxie gekennzeichnet, die diesen Ausnahmezustand charakterisiert: Wir müssen mit aller Kraft unsere westliche Lebensweise gegen ihre Feinde verteidigen, wenn wir in Zukunft in Frieden und Freiheit leben wollen – und gleichzeitig eben diese Lebensweise radikal verändern, wenn sie sozial, ökologisch und ethisch vertretbar sein soll. Die Herausforderung: Meinungsfreiheit, Demokratie und Pluralismus zu sichern und nicht nachhaltige Strukturen und Prozesse fundamental umzubauen.

Die Digitalisierung gilt als möglicher Ausweg für viele Probleme. Deren ökologische Seite ist aber unterbelichtet.
Die ökologische Dimension der Digitalisierung wird nahezu nirgendwo besprochen. Sie tun ja so, als wäre alles virtuell, die Clouds und die Apps. Energie- und Materialverbrauch spielen dabei keine Rolle. Dabei kostet jeder Google-Search, jedes E-Mail Ressourcen.

Müssen wir uns nicht auch vom Fetisch Wachstum verabschieden?
Wenn man langfristig denkt, muss man sich Alternativen zum Wachstum überlegen. Ein bisschen mehr Phantasie wäre dabei nötig. Wir brauchen eine ökologische und soziale Entkoppelung vom Wachstum. Aber ich kenne nicht so viele, die freiwillig auf Gehalt verzichten würden.

Trotzdem bleiben Sie angesichts der drohenden Kata­strophe humorvoll?
Muss ich ja. Helga Kromp-Kolb sagte, die heutige Generation entscheidet, ob die Menschheit in 30 Jahren gut leben wird oder sich die Verhältnisse dann total verändern werden. Ich spüre bei den Studierenden: Die Leute sind ja nicht blöd und wissen, dass Nachhaltigkeit wichtig ist – und warum.

Wie nachhaltig leben Sie?
Ich esse kein Fleisch und fahre kein Auto, bewege mich hauptsächlich öffentlich. Ich tu das, obwohl ich weiß, dass Aktionen einer Einzelperson am Ende keinen Unterschied machen. Aber ich fühle mich besser. Wenngleich ich mehrmals im Jahr durch das Fliegen jede Ökobilanz zerstöre.

Nochmals zum Reiz der Sportwagen: Sollte man sie verpönen oder bewundern?
Der Wandel ist ja unterwegs. Aber auch ich verstehe die ­Faszination Automobil – zwei Tage im Jahr miete ich mir ein Sportauto und fahre dann 500 Kilometer. Die coole Vision ist doch nicht, dass es in Zukunft weniger Ferraris gibt, sondern dass es mehr Ferraris gibt, die nachhaltig angetrieben und geteilt werden.