Erst die Augen auf. Zähne werden geputzt, Hände gewaschen, Schuhe an, mit Schwung aufs Fahrrad, den Einkauf erledigen, Salat, Käse, Kekse. Im Park gegenüber spielen die Kinder bereits Fußball. Den Partner kurz anrufen, heute wird’s später. Beim Abendessen hört man die letzten Kinder im Freibad über die Rutsche glitschen. Auch wenn wir es längst nicht mehr bemerken, Plastik verfolgt uns auf Schritt und Tritt. In jedem dieser Lebensbereiche. Plastik bestimmt unser Denken, unsere Angewohnheiten und natürlich unsere Möglichkeiten. Das wusste bereits Charles Good­year, einer der Urväter des Plastiks, als er im Jahr 1839 aus Kautschuk halbsynthetischen Kunststoff, also Gummi, gewann. Er vermachte uns das Geniale und er vermachte uns den Wahnsinn.

Der Wahnsinn hat heute viele Gesichter. Es ist die täglich aufgeschobene Verantwortung von Milliarden Verschwendern, der Zyklus der Wirtschaft, die Stimme des Klimawandelleugners, das Stimulans des x-ten neu erworbenen Turnschuhs.

Die 29-jährige Madeleine Daria Alizadeh, alias Dariadaria war selbst Teil des Konsums. Zumindest bis 2013. Da entschied sich die Wienerin bewusst gegen ihre Arbeit als klassische Modebloggerin. Sie stylte ihre Homepage um und nutzte von da an ihre weitreichende Onlinepräsenz, um sich dem Thema Nachhaltigkeit zu widmen. Madeleine lebt heute eine unverfälschte, logische Nachhaltigkeit vor, ein bewusstes Leben ohne Missionarsgedanken – vielleicht hören ihr gerade deswegen so viele (165.000 Follower auf Instagram) Menschen zu.

Für die Bloggerin ist jeder Tag grau, nicht schwarz-weiß: „Die perfekte Firma gibt es nicht. Es ist ein ständiges Differenzieren. Viele verstehen nicht, dass es da nicht Gut und Böse gibt, wie in der Religion beispielsweise.“ Seit einem Jahr hat Alizadeh ihre eigene ökologische Modelinie „dariadeh“, ihr Podcast „A Mindful Mess“ gehört zu den bekanntesten auf Spotify. Heute unterstützt Alizadeh vor allem kleinere Unternehmen und Marken mit fairen und umweltschonenden Produktionsbedingungen.

© (c) Maximilian Salzer


Trotzdem buhlen große Player nach wie vor um sie, wollen ein neues, grünes Gefühl verkaufen. „Die wollen ­Testimonials haben, die die Werte, die sie selbst nach außen hin gerne vermitteln würden, leben. Klassisches Greenwashing“, erklärt Madeleine. Verfolgt man Alizadeh im Netz, wird man kaum vom neuen angesagten Veggie-Café in der Stadt erfahren, schon eher etwas über nützliche Methoden, Plastik zu sparen oder kostengünstig einen fairen Alltag zu meistern.

„Grundsätzlich mutet ein nachhaltiger Lebensstil boboesque-elitär und nicht leistbar an, dabei bedeutet es genau das Gegenteil. Nachhaltig leben heißt, ressourcenreduziert zu leben, das wiederum bedeutet, günstiger zu leben“, betont die Wienerin. Nachhaltig ernähren könnte man sich beispielsweise über Hofläden oder Foodcoops. Letztere bieten durch die Vernetzung mehrerer Personen oder Haushalte die Möglichkeit, Lebensmittel direkt über den Erzeuger, also z. B. den Bauern des Vertrauens, zu beziehen.
Die Gewinnmarge des Einzelhandels fällt dabei weg. Und die Anreize zur umweltschonenden Produktion fehlen oftmals, wie man an folgendem Beispiel sieht: Seit Juni feiert die Glasflasche für Milch Comeback. Was auf den ersten Blick vernünftig erscheint, verrät auf den zweiten Blick, wie einfach eine nostalgische Retrostimmung beim Konsumenten hervorgerufen wird. Es handelt sich um Einwegflaschen. Der Mehrweg rentiert sich für die Firmen nicht, Transport und Reinigung sind annähernd gleich teuer wie die Produktion neuer Flaschen.

Die umweltschonendste Methode, die Mehrweg-­PET-Flasche, gibt es in Österreich überhaupt nicht mehr. „Momentan ist es günstiger, schlecht zu produzieren. Dabei steht in keiner Verfassung der Welt geschrieben, dass die wirtschaftliche Tätigkeit dazu da ist, Reichtum zu akkumulieren. Wenn wir Geld nicht mehr als Ziel, sondern Mittel sehen, kann daraus etwas Besseres entstehen“, ist sich Madeleine sicher. Manche wollen auf diese Veränderung nicht mehr warten, sie machen das radikale Umdenken zu ihrer eigenen Agenda. Alizadeh erzählt begeistert von einem Video der Studentin Lauren Singer. Ganz allein steht sie darin auf der Bühne, einzig ein kleines von den hinteren Rängen kaum erkennbares Glasgefäß begleitet sie. Sie hat ihren Abfall der letzten drei Jahre mitgebracht. Er passt in eben dieses Glas. Singer lebt „Zero Waste“, das heißt, sie lebt ein Leben ohne Müll.

Es fällt ihr leicht, sagt sie, sonst hätte sie ihr Experiment auch nicht so konsequent weitergeführt. Waschmittel oder Zahnpasta produziert die junge Frau selbst, Kleidung kauft sie entweder secondhand oder ohne Verpackung, zum Einkauf nimmt sie ihre eigenen Behälter mit. Singer kommt aus guten Verhältnissen und gehört zu den zehn Prozent Erdenbewohnern, die 90 Prozent des Wohlstands beanspruchen. Sie genießt Privilegien, aber nutzt diese für mehr Entscheidungsfreiheit. Vielen anderen würde es wahrscheinlich auch nicht merklich schwererfallen, bewusster zu leben.

„Wir sitzen aber in einem Elfenbeinturm und beschweren uns“, klagt Alizadeh. „Und erst wenn wir nicht mehr im Elfenbeinturm sitzen, werden wir merken, wie gut es uns geht.“ Madeleine lässt sich davon trotzdem nicht beunruhigen. Sie möchte ja niemanden missionieren. Eine Mission hat sie trotzdem, Vertrauen schaffen. „Denn Vertrauen ist die Währung der Zukunft.“ Und ­vorausgehen. Ob wir ihr folgen, liegt nur an uns.