Für die Forscher ist der Vergleich nicht übertrieben: Die Veränderungen, die der Mensch seit Mitte des vorigen Jahrhunderts dem Planeten zugefügt hat, führen zu einer ähnlichen Situation, wie sie der verheerende Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren bewirkt hat. Gemeint ist damit nicht, dass die Menschheit wie einst die Dinosaurier bald vom Antlitz der Erde verschwunden sein wird. Doch das Wirken von Homo Sapiens war in den vergangenen 70 Jahren auf der Erdoberfläche so tief greifend, dass die Welt für immer eine andere geworden ist. Ein Weg zurück vor diese Zeit ist nicht mehr möglich.

Immer mehr Geologen vertreten daher die Ansicht, dass man das seit 11.700 Jahren vorherrschende Erdzeitalter des Holozän als zu Ende gegangen betrachten muss, weil es von einem neuen Zeitalter abgelöst wurde: dem „Anthropozän“ – dem vom Menschen geprägten Erscheinungsbild der Erde. Die Internationale Kommission für Stratigrafie, die über die Einteilung der geologischen Zeitskala wacht, hat deshalb bereits vor elf Jahren eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die weltweit Daten sammelt, um die Sachlage zu klären.

Und die Forscher wurden bald fündig. „Ausschlaggebend für ein eigenes Zeitalter ist, dass sich das Wirken der Menschen in den Sedimentschichten des Planeten wiederfindet, und zwar weltweit“, sagt Michael Wagreich, Geologe an der Universität Wien und Mitglied der Arbeitsgruppe. Als historisch erstes Signal, das diese Anforderungen erfüllt, stellten sich die seit den 1950ern durchgeführten Atomtests heraus. „Wir finden Plutonium-239 und andere menschengemachte Isotope als Rückstände der Tests überall in den Sedimenten, auch in den Eisschichten der Antarktis“, sagt Wagreich. Ab 1963 fällt das Signal wieder ab. Damals stellten die USA ein Jahr nach der Sowjetunion oberirdische Atomtests ein.

Zu den radioaktiven Hinterlassenschaften gesellten sich über die folgenden Jahrzehnte unzählige weitere Zeugnisse der menschlichen Lebensweise, die geologische Dimensionen erreicht haben. Das Element Blei, das bis in die 1970er-Jahre Treibstoffen beigemengt wurde, ist ebenso weltweit in Ablagerungen nachweisbar wie die Kunststoffe, die überall auf dem Planeten als sogenannte „Techno-Fossilien“ zu finden sind.

Anderes Beispiel: Der Mensch verbaut inzwischen jährlich mit 13 Gigatonnen ungefähr so viel Beton, wie an Sedimenten von allen Flüssen der Welt insgesamt verfrachtet wird. In Summe wurde mit einer halben Billion Tonnen bereits so viel Beton verarbeitet, dass man pro Quadratmeter Erdoberfläche ein Kilogramm davon verteilen könnte.
Und auch der Hunger nach Energie zeitigt Folgen. Ölvorkommen werden leergepumpt, Kohlereviere geplündert. Im Fachmagazin „Nature Communications, Earth & Environment“ publizierten Forscher heuer folgende Abschätzung: Der Energieumsatz des Menschen seit 1950 übersteigt mit 22 Exajoule jenen der annähernd 12.000 Jahre davor (14,6 Exajoule). Erosionsprozesse und der fortschreitende Klimawandel verändern Küstenlinien in nie da gewesenem Tempo, die Biomasse an der Planetenoberfläche nimmt rapide ab.

Die meisten Forscher der Arbeitsgruppe haben keinen Zweifel mehr, dass der Erdzeitrechnung ein neues Kapitel hinzugefügt werden muss. Die Summe ihrer Erkenntnisse wollen sie 2024 vorlegen.

Interview

Michael Wagreich ist Geologe an der Universität Wien und Mitglied der Arbeitsgruppe Anthopozän
Michael Wagreich ist Geologe an der Universität Wien und Mitglied der Arbeitsgruppe Anthopozän © kk