Samstagnachmittag, zwischen akkurat gestutztem Liguster im altehrwürdigen Café Dommayer in Wien-Hietzing. Elisabeth Orth, Doyenne und Burgtheaterlegende, nimmt mit ihrem Sohn, Schauspieler Cornelius Obonya, im Schanigarten Platz.

Herr Obonya, was sind Ihre prägendsten Erinnerungen an Ihre Kindheit?
CORNELIUS OBONYA: Eine riesengroße Erinnerung ist: Wenn meine Mutter und mein Vater ausgingen, war das ganze Haus von ihren Düften erfüllt und dazu in gelbliches Licht getaucht. Das waren Lampenschirme, die meine Mutter von ihren Eltern geerbt hat, die ich dann in meinen ersten zwei Wohnungen hatte – so lange, bis sie zerfallen sind. Sie stammten aus den 30er-Jahren. Das waren Tierhäute, die über eine Glühbirne gespannt waren, die steckten in großen, bauchigen Flaschen voller Schotter oder Sand. Meine Kindheitslampen. Garniert ist die Erinnerung noch mit den Flüchen meines Vaters, der die Krawatte nicht hingekriegt hat, was ich senkrecht von ihm übernommen habe.

Deckt Sich das mit Ihren Erinnerungen, Frau Orth?
ELISABETH ORTH: Sein Zimmer war im ersten Stock. Ich kann mich erinnern, dass er liebend gerne aus der Familie ausgeschert ist, hinauf. Dort hat er Geschichten gehört oder sich selber Geschichten erzählt: u. a. eine Wildwest-Geschichte. Mit Pferdegetrampel. Die habe ich, dumm, wie ich war, meinen Eltern zu hören gegeben. Da musste ich ein Jahr darum kämpfen, diese Kassette wiederzubekommen, weil die wollten sie nicht mehr rausgeben.
OBONYA: Und mein Sohn zieht sich jetzt in denselben, zwar umgebauten, ersten Stock zurück. Er ist zwölf und kommt in eine Zwischenphase: Er spielt Lego und hört dazu Eminem. Was ich beides sehr schätze.
ORTH: Das Wort für alle Pubertären: Wegen Umbau geschlossen. Das ist von Molden.


Haben Sie bei den Wildwest-Geschichten schon sein schauspielerisches Talent entdeckt?
ORTH: Nein, interessanterweise überhaupt nicht. Ich fand es normal, dass mein Sohn so begabt ist. Ich dachte, der wird irgendetwas werden. Aber um Gottes willen nicht schon wieder ein Schauspieler! Es gibt diese ewige Sehnsucht der ganzen Familie: endlich ein Mathematiker – aber es kommt keiner.


Zum Begriff Mutterstolz: Was verbinden Sie damit?
ORTH: Ich vermeide das Wort Stolz. Ich finde es ganz grauenvoll. Ich weiß noch, nach der „Jedermann“-Premiere in Salzburg kam ein Pulk von Pressemenschen und sie sagten: „Na, san Sie ned stolz auf den Sohn?“ Und ich sagte: „Ich kann mit dem Stolz leider nix anfangen. Ich freue mich. Und zwar aus Herzensfreude.“ Dann haben sie ein bissl blöd geschaut. Die Premiere war wirklich schön: Standing Ovations auf dem Domplatz sind nicht üblich.

Dann formuliere ich die Frage neu: Wann zerreißt es Ihnen als Mutter fast das Herz vor Freude?
ORTH: Wenn ich mit ihm spiele.
OBONYA: Detto.
ORTH: Bei „Coriolan“ (Anm.: Am Akademietheater sind Orth und Obonya im Shakespeare-Stück zu sehen): Nehmen wir zum Beispiel die Szene zwischen uns, in der wir uns angiften – deswegen haben wir es ja gespielt –, der Funke springt und der springt meistens, dann ist er auch unten beim Publikum. Da habe ich ein richtiges Glücksgefühl und denke mir: Schade, dass der Abend schon zu Ende ist. Das ist ein reines Gefühl: beruflich und privat.

Gibt es neue Ideen für eine Zusammenarbeit?
ORTH: Leider nicht.
OBONYA: So etwas muss wachsen. Wir haben das nie explizit gesucht. Es wird auch in der Außenwahrnehmung ungesund, wenn man zu oft, gerade in diese Familie, miteinander arbeitet. Da habe ich Respekt davor. Das ist, wie wenn der Adel untereinander heiratet, 800 Mal hintereinander ...
ORTH: Inzucht heißt das Wort.
OBONYA: Genau, das kann auch in diesem Bereich passieren.


Hatten Sie immer eine gute Beziehung zueinander?
ORTH: In der Pubertät hätte ich ihn erschlagen können, zwischendurch.
OBONYA: Ich sie auch.
ORTH: Aber das wussten wir irgendwo unterschwellig. Dann gibt es die schöne Abmachung. Schon beim Krach. Wenn du was schmeißt nach mir, dann hebe es auch bitte auf. Auch wenn ich was schmeiße nach dir, hebe ich es auf. Nicht du. Ich. Das haben wir durchgehalten. Das wirkt wunderbar. Das ist einfach keine Sauerei.


Wurde der Muttertag eigentlich gefeiert bei Ihnen?
ORTH: Auf diese Frage habe ich gewartet. Nein. Drei Rufzeichen.


Und ich habe mit so einer Antwort gerechnet.
ORTH: Wunderbar.
OBONYA: Nein, warte! Ich habe dir schon Geschenke gemacht, in der Schule.
ORTH: Das hat sie nicht gemeint. Roosevelt ... wie hieß sie im Vornamen?
OBONYA: Eleanor.
ORTH: Dankeschön. Eleanor hat das in den USA hochgepusht, den Mother’s Day. Das habe ich irgendwo gelesen und mir gedacht: Schon wieder eine wirtschaftsorientierte Feierstunde. Nein! Das werden wir nicht unterstützen. Wir sind auf jeden Fall weit links von Eleanor und wir werden diese Geschäftspraktiken mit Blumenstrauß und rosa Dingsbums nicht mitmachen. Der größte Horror: Frühstück ans Bett. Weil ich diese Brösel so was von gehasst habe, die natürlich runterfallen. Das habe ich aus ganzem Herzen abgelehnt und er hat mitgetan.


Was hat Sie Ihr Sohn noch übers Leben gelehrt?
ORTH: Eine merkwürdige Art von Lebensgeduld, wenn ich das so ausdrücken darf, und von Nachdenken vorm Häferlausbrechen. Das habe ich mit Freude wahrgenommen, weil das auch ein Gruß über 16 Ecken von seinem Vater an mich war.


Und was hat Ihre Mutter Sie gelehrt?
OBONYA: Unendlich viel. Was ich als gelernt bezeichnen würde, ist viel Berufliches. Vor allem eine generelle politisch gesellschaftliche Offenheit nebst vielen anderen Einflüssen. Ich war extrem früh aufgeklärt. Die Zeitungen lagen zu Hause ganz offen herum, ich durfte alles anschauen, habe meine Fragen gestellt oder auch nicht. Es wurde mir alles erklärt. Es gab nie irgendeine Art von Tabu.
ORTH: Ich war viel zu eifrig in der Aufklärung. Kannst du dich erinnern, unter dem Apfelbaum. Du warst ...?
OBONYA: Sechs oder sieben.
ORTH: Aufklärung! Aufklärung! Weil ich nicht aufgeklärt war. Man ließ mich unaufgeklärt mit 16 nach Amerika. Das hat sich mir eingebrannt und ich habe mir gedacht: Das passiert mir bei meinem Kind nicht! In seiner wunderbaren Art hat er gesagt: Es graust ihm so, ich möge bitte aufhören.
OBONYA: Das hat unser Sohn bei uns auch so gemacht.


Wurde viel politisiert bei Ihnen zu Hause?
ORTH: Politisiert eigentlich nicht. Über Politik gesprochen ja. Das ist ein Unterschied. Meistens an aktuelle Erregungen angeschlossen, an Unverständlichkeiten, die aus dem Nachrichtenpool herausschwappen. Wir haben immer gesagt: Leider haben wir keine Zeit, uns jetzt sofort mit dem Thema auseinanderzusetzen.


Wofür sind Sie Ihrer Mutter heute dankbar?
OBONYA: Das ist das Beste, was man an einem Muttertag von der eigenen Mutter sagen kann, die gegen ihre Eltern sehr wohl einen ziemlich einsamen Kampf geführt hat, um überhaupt zu einer Haltung zu finden, die anders ist als das Übliche. Dafür werde ich ihr immer dankbar sein. Sie hat mir mitgegeben, dass gewisse Dinge unter Anstand fallen, unter Demokratie, unter humanes Verhalten. Diese Haltung ist es, die wir dringend an andere Generationen weitergeben müssen. Die Argumentation, dass es letztlich niemals um rechts oder links gehen kann, sondern um human oder nicht human, das würde ich mir für unser Land wünschen, die EU auch. Spätestens ab jetzt, wo der Brexit kommt. Und wo Antisemitismus gerade durch diese Regierungszusammenkunft wieder gesellschaftsfähig gemacht wurde, unterschwellig. Übrigens: Was der Herr Köhlmeier im Parlament gesagt hat, das unterschreibe ich voll und ganz.
ORTH: Wir waren schon einmal weiter, weil wir nicht so rechts waren. Und rechts war nicht so in Mode. Diese geerbte Feindschaft, die so verbindend ist, ist mörderisch für die Demokratie.


Sehen Sie sich eigentlich oft?
ORTH: Nein, zu selten. Ein wirkliches Glück haben wir gemeinsam erfunden. Ich werde am Sonntag, wenn es der Zeitplan zulässt, zu Hause abgeholt und zum Frühstück gebeten. Schön bürgerlich traditionell, aber wunderbar. Und ich habe immer gesagt: Kinder, wo ist eure Kassa? Weil ich lache so viel mit dieser Familie. Das ist ja besser als Fernsehen!