Unter Kennern ist das Terroir spannender als die Rebsorte. Nur wenn man versteht, wo und unter welchen Bedingungen der Wein wächst, kommt man seinem wahren Geschmack auf die Spur. Als Konsument muss man dafür nicht 15 Meter tief in den Boden graben. Man muss auch keine Millionen Jahre in die Vergangenheit reisen oder Wetterstationen im Weingarten beobachten.

Das haben einige Winzer schon selbst getan – mithilfe von Klimaexperten, Geologen, Biologen und Mikrobiom-Forschern versuchen sie, das Phänomen Wein in seiner Gesamtheit zu erfassen. Im Zusammenspiel zwischen Boden und Klima. Als Konsument muss man sich nur noch zurücklehnen, eine Flasche öffnen und dem Wein und seiner Herkunft in aller Ruhe nachspüren. Denn sie ist der Schlüssel zu einem völlig neuen Geschmackserlebnis fernab des Mainstreams.

Was ist das Besondere an den Böden der steirischen Weingärten?

Katharina Tinnacher: Das Urmeer hat vor 15 Millionen Jahren Kalkablagerungen hinterlassen, durch die Erhebung der Alpen ist dann auch Schotter in die Region geschwemmt worden – auf kleinstem Raum haben wir heute fünf verschiedene Bodentypen, Quarzsand, Schotter/Kies, Mergel, Korallenkalk und Schiefer in der Südsteiermark, im Osten kommt durch die Vulkane noch der Basaltboden dazu. Das ist spannend, weil die Böden dem Wein einen individuellen Charakter geben.

Warum schmecken ein Wein aus der Südsteiermark und einer aus Südfrankreich anders, obwohl beide auf Kalkboden wachsen?

Christoph Neumeister: Man muss den Boden immer mit der Lage, der Ausrichtung, der Seehöhe und vor allem dem Klima in Zusammenhang sehen. Generell herrscht bei uns eine Mischung aus mediterranem und alpinem Klima. Wir liegen zwar nahe am Meer, sind aber das kälteste Weinbaugebiet Österreichs.

Andreas Sattler: Auch das Mikroklima spielt eine wesentliche Rolle. Unsere hügelige Landschaft bedingt bis zu 40 Prozent Unterschied im Niederschlag – auf drei Kilometern.

Welche Rolle spielt die Sorte für den Geschmack?

Neumeister: Terroirwein zu machen heißt auch zu wissen, welche Rebsorte die Lage am besten transportiert.

Was kann der Boden für die Weinsorte tun – wie beeinflusst er den Geschmack?

Tinnacher: Es ist nicht das Ausgangsgestein allein. Der Kulturboden ist genauso wichtig. Für uns Weinbauern geht es darum zu wissen: Worauf wurzeln unsere Reben? Das gibt uns Einblick, wie die Rebe versorgt ist, wie der Boden Wasser und Nährstoffe speichert. Ist er durchlässig etwa wie ein Sandboden, der große Niederschlagsmengen rasch abführt. In der Kultivierung in der täglichen Arbeit im Weinberg nehmen wir dahingehend Einfluss. Manche Lagen produzieren Trauben, die fruchtiger und würziger sind, man hat eine höhere oder niedrigere Säure, die Tannine, Bitterstoffe, sind anders – all das formt dann letztendlich den Wein.

Ihre Weingüter - Neumeister, Sattlerhof und Lackner-Tinnacher - betreiben biologischen Weinbau, worauf achten Sie?

Tinnacher: Wir versuchen durch langfristige Maßnahmen, das Bodenleben zu verbessern.

Willi Sattler: Die Herkunft wird nur dann wirklich ausgeprägt sein, wenn man so natürlich wie möglich arbeitet. Es gibt eine Tausendschaft an Mikroorganismen, die in Wechselwirkung zueinander stehen.

Andreas Sattler: Der einzige Grund, nicht organisch zu düngen, ist, wenn man die Erträge erhöhen will. Die Natur ist nicht in der Lage, mehr zu erzeugen. Das muss man respektieren.

Willi Sattler: Wir produzieren ein Produkt, das Spaß machen und für Genuss sorgen soll. Da finde ich keine Rechtfertigung, warum man dafür nachhaltig die Natur zerstören sollte. Wie gehe ich mit dem Boden um? Was tue ich, um eine große Pflanzenvielfalt zu ermöglichen und ein möglichst gutes Mikrobiom - Zigtausende Mikroorganismen. Sie sorgen für die richtige Balance – deshalb ist uns dieses Thema so wichtig.

Wie viel aufwändiger ist die biologische Produktion?

Willi Sattler: Man muss davon ausgehen, auf der gleichen Fläche nur ein Drittel der Trauben im Vergleich zum konventionellen Weinbau zu ernten. Bio heißt auch, Bescheidenheit zu entwickeln. Man muss viel präziser in der Natur arbeiten, es ist viel mehr Handarbeit nötig, die Personalkosten steigen.

Mineralik ist ein viel gebrauchtes Wort im Zusammenhang mit Herkunftsweinen. Wie schmeckt ein „mineralischer“ Wein?

Tinnacher: Wenn die Verbindung aus Säure und Bitterstoffen ein gewisses Mundgefühl auslöst, sprechen Experten von „mineralischem Wein“. Es ist ein Hilfswort für einen vielschichtigen, komplexen Wein, der Struktur zeigt, am Gaumen Charakter hat.

Willi Sattler (Sattlerhof, Gamlitz), Christoph Neumeister (Weingut Neumeister Straden), Katharina Tinnacher (Weingut Lackner-Tinnacher, Gamlitz) und Andreas Sattler (Sattlerhof)
Willi Sattler (Sattlerhof, Gamlitz), Christoph Neumeister (Weingut Neumeister Straden), Katharina Tinnacher (Weingut Lackner-Tinnacher, Gamlitz) und Andreas Sattler (Sattlerhof) © (c) oliver wolf

Willi Sattler: Wenn man sich heute ein Joghurt mit vermeintlich „natürlichem“ Erdbeeraroma kauft, glaubt man, die Natur schmeckt tatsächlich so. Beim Wein ist es genauso. Wir sind alle klar in unserer Aussage, haben wenig Menge und unsere Qualität geht auch Richtung Distribution – wir wollen, dass unser Wein bei den richtigen Leuten landet.

Wie kann man die geschmacklichen Unterschiede zwischen den einzelnen Böden und Lagen nun am besten erkennen?

Neumeister: Auf einem unserer oststeirischen Basaltböden schmeckt man die warme Würze, die komplexe Mineralität, ein Tal daneben wächst Wein auf Schotterboden, es ist dort kühler. Da prägt sich auch eine zitronigere Säure aus.

Andreas Sattler: Gamlitz ist wärmer, hat sandige Böden und florale offene Aromen. Am Eichberg, in höheren Lagen, dominieren würzig-kräutrige.

Willi Sattler: Es gibt einen roten Faden, eine gewisse Charakteristik, die sich durchzieht. Das kann man schmecken.