Frau Steiner, Sie arbeiten in der Suizidprävention. Wie ist die Situation in Österreich, wo stehen wir?

Elise Steiner: Die Suizidrate sinkt in Österreich seit 1987, darüber sind wir froh. Das liegt daran, dass sich die Behandlung depressiver und psychischer Erkrankungen sowie die Medienberichterstattung verbessert haben.

Laut Statistik sind Steiermark und Kärnten die Bundesländer mit der höchsten Suizidrate. Woran liegt das?

Ja, leider stimmt das. Daher ist es so wichtig, dass wir Suizidprävention betreiben, denn dadurch sinkt die Rate. Die Gründe sind verschieden, hohe Arbeitslosigkeit, in ländlichen Regionen gibt es kaum niedergelassene Psychiater, Psychologen oder Psychotherapeuten.

Elise Steiner, Psychotherapeutin
Elise Steiner, Psychotherapeutin © kk

Am Jugendtheater Next Liberty läuft nun das Stück „Der Schüler Gerber“, an dessen Ende ein Suizid steht. Was ist bei einer solchen Bühnendarstellung zu beachten?

Beim Stück haben wir die Chance, das Thema in der Schule einzubinden. Lehrer bekommen vorab Informationen, wie sie mit dem Thema umgehen und mit den Schülern über Krisenbewältigung sprechen können. Es ist eine Chance, über psychische Gesundheit zu sprechen. Wichtig ist aber, dass die Darstellung auf der Bühne oder im Film in einen Rahmen eingebettet wird und darüber gesprochen werden kann.

Was sind Warnsignale von Suizidgefährdeten, auf die jeder achten sollte?

Wir beraten vor allem Jugendliche, doch auch später sind die Signale ähnlich. Die Betroffenen ziehen sich zurück, sind stiller oder trauriger, andere werden aggressiv. Vielleicht fallen auch die Leistungen in der Schule ab, Betroffene beschäftigen sich intensiver mit dem Thema Tod, andere hören mit Hobbys auf. Diese kleinen Warnzeichen können darauf hindeuten, dass es einem Menschen nicht gut geht. Und da ist es wichtig, das anzusprechen.

Doch wie geht man ein solches Gespräch an? Ich denke, hier gibt es große Ängste, etwas Falsches zu sagen.

Man kann einfach sagen: „Du bist so schweigsam“ oder „Du kommst gar nicht mehr zum Training, bedrückt dich etwas?“. Wenn dann eine Antwort kommt, die in Richtung Lebensüberdruss geht, darf man sich auch trauen, konkret nachzufragen: „Denkst du daran, dir das Leben zu nehmen?“ Die Frage ist durchaus in Ordnung! Viele Menschen, die daran denken, sich das Leben zu nehmen, fühlen sich dann erleichtert, weil sie es einmal ausgesprochen haben.

Was ist der nächste Schritt?

Dann schaut man: Wer aus dem Umfeld könnte dazu geholt werden? Es ist wichtig, dass die Jugendlichen zu einer Beratungsstelle gehen, wo sie professionelle Hilfe bekommen, wenn es ihnen so schlecht geht, dass sie über Suizid sprechen.

Ist die Ursache für Suizidgedanken immer eine Depression? Welche anderen Auslöser kann es geben?

Suizid ist das Ergebnis von verschiedenen Belastungen, die dazu führen, dass ein Mensch das Gefühl hat, er ist überwältigt von den Schwierigkeiten und sieht keinen Ausweg mehr. Das können psychische Erkrankungen wie eine Depression sein, aber es können auch Verluste oder Veränderungen sein, die sich zu einer großen Krise auswachsen.

Sind Jugendliche jene Gruppe, die am häufigsten betroffen ist?

Momentan sind es eher ältere Menschen ab 75 Jahren, die besonders betroffen sind. Auch bei dieser Gruppe ist es ganz wichtig, gut hinzuhören, was sie brauchen, um geeignete Betreuungsmöglichkeiten zu finden.

Zu dem Thema gibt es viele Mythen, einer lautet: Wer einen Suizid ankündigt, tut es ohnehin nicht. Welche anderen Irrtümer begegnen Ihnen noch?

Ein Mythos ist, dass man an der Situation eines Suizidgefährdeten nichts ändern kann. Das stimmt nicht, Suizidprävention wirkt! Wir wissen, dass es wirkt, wenn wir die Bevölkerung informieren, in Schulen gehen, wenn wir bekannt machen, wo es Hilfe gibt. Betroffene, ob jung oder alt, brauchen immer wieder die Information, wo sie hingehen können, wenn es ihnen nicht gut geht.