Sie sind äußerst selten und werden nur bei etwa ein bis zwei Personen je 100.000 Einwohnern jährlich festgestellt. Die sogenannten Myeloproliferativen Neoplasien (MPNs) sind Unterformen der Leukämie und eine chronische Form des Blutkrebses. Mithilfe der Gen-Schere CRISPR konnten die Wissenschaftler Andreas Reinisch, Johannes Foßelteder und ihr Team die genaue Mutation im menschlichen Genom identifizieren, die zwei Unterarten der MPNs auslöst.
Beide Formen haben ihren Ursprung in Blutstammzellen des Knochenmarkes. Bei Polycythemia vera (PV) führt die Mutation zu einer abnormen Vermehrung roter Blutzellen, sogenannter Erythrozyten, ohne dass ein physiologischer Anreiz vorliegt. Bei der Essenziellen Thrombozythämie (ET) kommt es hingegen zu einer starken Vermehrung der Thrombozyten, die bei der Blutgerinnung eine wichtige Rolle spielen. Erkrankte haben dadurch ein erhöhtes Risiko für die Bildung von Blutgerinnseln, Herzinfarkten, Schlaganfällen und anderen Gefäßverschlüssen.
Gestörte Proteinfaltung
Für PV und ET konnten die Grazer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Ursache auf molekularer Ebene identifizieren. Im Zuge ihrer Untersuchung, die im Fachjournal Leukemia vorgestellt wurde, zeigte sich eine spezifische DNA Mutation in den betroffenen Zellen. Dadurch verändert sich der genetische Bauplan eines Proteins und es kann nicht mehr korrekt zusammengebaut werden.
Dieser Prozess der Proteinfaltung findet an speziellen Membranen in der Zelle statt und hat ein eingebautes Notsignal, das der Zelle mitteilt, wenn ein Protein nicht richtig zusammengebaut wurde. Dadurch können diese falsch gefalteten Proteine entweder korrigiert oder wieder abgebaut werden. Im Falle der beiden Blutkrebs Formen PV und ET ist ein Protein betroffen, das dafür zuständig ist, andere Proteine bei ihrer Faltung zu unterstützen.
Ursache als Therapiemöglichkeit
Dass diese Mutation entdeckt wurde, bringt laut den Fachleuten neue Therapie-Optionen auf den Plan. Durch eine Unterdrückung des zelleigenen Notsignals bei falscher Proteinfaltung werden zu viele Proteine produziert, die nicht funktionstüchtig sind. Die Zelle erkennt dies und geht in den Prozess des programmierten Zelltodes und stirbt in weiterer Folge ab. Diese Unterdrückung des Notsignals kann auch künstlich hervorgerufen werden.
Zum Einsatz kommen können dabei sogenannte Proteasomen-Inhibitoren, die bereits zur Behandlung anderer Erkrankungen des Blutes zugelassen sind. Somit wäre laut Aussendung der Med Uni Graz eine rasche Übertragung dieser Ergebnisse denkbar. Andreas Reinisch zeigt sich optimistisch über die Ergebnisse der Studie: "Wir hoffen natürlich, dass diese Inhibitoren ihren Weg in die klinische Verwendung finden werden und in Zukunft vielversprechende Therapieansätze für MPN-Patientinnen und Patienten bieten."
Sarah Marie Piskur