Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das erste Mal mit der Diagnose konfrontiert wurden?
Vivien Belschner: Ich erinnere mich noch gut an den Tag, ich bin in der HNO-Ambulanz gesessen und relativ schnell hat sich eine Traube an Menschen um mich gebildet. In diesem Moment war mir, obwohl noch niemand das Wort ausgesprochen hatte, klar, dass es etwas Größeres sein muss. Sonst, dachte ich mir, wären da nicht so viele Menschen gekommen, um "seelischen Beistand" zu leisten. Ich habe in diesem Augenblick gleichzeitig nichts und alles gefühlt und irgendwie war es eine unfassbar starke und intensive Erfahrung, die Diagnose so übermittelt zu bekommen.
Was war der Auslöser, sich untersuchen zu lassen?
Seit zwei Jahren hatte ich immer wieder einzelne Symptome, die ich als Laiin nicht miteinander in Verbindung gebracht hätte. Von Kopfschmerzen über Erkältungen und Rückenschmerzen war alles dabei. Ebenso hatte ich 2021 eine Phase, in der ich in kurzer Zeit einen starken Gewichtsverlust erlebte und sieben bis acht Kilogramm verlor. All diese Dinge geschahen jedoch so zeitversetzt, dass ich sie selbst einfach nicht als Symptom einer einzelnen Erkrankung angesehen hätte. Ende 2022 bemerkte ich allerdings auf einmal hinter meinem rechten Ohrläppchen eine relativ große, schmerzfreie Beule, von der ich nicht wusste, woher sie kam. Das war der Moment, in dem mich Ärztinnen und Ärzte anfingen, wirklich ernst zu nehmen und mir nicht nur zu sagen, dass es eben "nur" Kopfschmerzen sind oder dass man eben mal Gewicht verliert. Schon bevor ich die Beule entdeckte, hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht passt, aber keiner hörte wirklich zu und die meisten ordneten meine Symptome eher psychosomatisch ein. Umso erleichterter bin ich nun, dass ich von Ärztinnen und Ärzten umgeben bin, bei denen ich mich gesehen fühle.
Wie lange hat es gedauert, um zu realisieren, was gerade mit Ihnen passiert und was das bedeutet?
Die Realisation nach der Diagnose ging relativ schnell, da der ganze Prozess davor bereits über Wochen und Monate gegangen war. Es war also nicht so, dass ich quasi von heute auf morgen damit konfrontiert wurde. Ärztinnen und Ärzte haben es auch immer wieder indirekt thematisiert, aber man konnte natürlich vor der Auswertung der Biopsie nichts sagen. Auch die Akzeptanz hat sich überraschend schnell eingestellt, was mir dabei geholfen hat, damit auch in meinem Alltag besser umzugehen.
Sie sind 28 Jahre alt, meist hat man sich in diesem Alter gerade erst selbst gefunden und gefestigt. Wie stark verändert sich dadurch der Blick auf das bereits gelebte Leben und die eigene Zukunft?
Ersteres hat sich nicht wirklich verändert, dafür mein Blick auf die Zukunft umso mehr. Die Diagnose hat mir wirklich gezeigt, wie sich binnen Sekunden die Realitäten ändern können. Es mag etwas pathetisch klingen, aber die Relationen verschieben sich und man ordnet Dingen eine andere Priorität zu.
Haben Sie nach der Diagnose ihr Leben auf gewisse Weise infrage gestellt?
Tatsächlich war eine der ersten Fragen, die ich meinem Onkologen gestellt habe: "Warum ich?" Ich bin ein Mensch, der Antworten sucht und oft findet. Oder sie einfach auch braucht. Deshalb habe ich gehofft, dass mir das anfänglich hilft, besser damit umzugehen. Relativ schnell habe ich dann aber realisiert, dass nicht alles im Leben einen Grund hat und nicht alles aus einem Grund passiert. Manche Ereignisse im Leben sind eben einfach furchtbar.
Auf Instagram kennt man Sie als "vanillaholica", wo Sie eine Plattform für mehr Achtsamkeit gegenüber der Natur, der Umwelt und sich selbst geschaffen haben. Jetzt teilen Sie auch Ihre Krankengeschichte, gibt Ihnen das Kraft?
Ich habe meine Diagnose vor Weihnachten bekommen, in einer Zeit, die für die meisten Menschen magisch und voller Zauber ist. Man freut sich auf diese besondere Zeit zwischen den Welten, Weihnachten und Neujahr. Für mich war diese Zeit jedoch voller Finsternis, es gab keine Besinnlichkeit. Jedes Mal, wenn ich also privat oder auch jobbedingt online war, hatte ich das Gefühl, dass meine Emotionen und meine Lebensrealität kaum repräsentiert werden. Ich habe mich ausgeschlossen gefühlt von diesem Alltag, weil meiner so vollkommen anders aussah. Deswegen habe ich mich entschieden, der Account zu werden, den ich zu dieser Zeit gerne online gesehen hätte. Ich verarbeite sehr viel durch Worte und das Schreiben, deswegen war es für mich auch wichtig, diesen Teil von meinem Leben zu zeigen, der gerade so viel Raum einnimmt und von heute auf morgen alles auf den Kopf gestellt hat.
Was haben die Reaktionen auf Ihre Offenheit dann in Ihnen ausgelöst?
Viele Menschen werden in ihrem Leben auf irgendeine Art und Weise mit der Thematik und Erkrankung Krebs konfrontiert. Sei es durch Angehörige, Filme, Podcasts, Musik oder das eigene Leben. Da Informationen darüber so weit verbreitet sind, sind die Reaktionen in weiterer Folge einerseits erst möglich und andererseits auch unfassbar vielseitig. Die einen wünschen Kraft, die anderen erzählen ihre eigenen Geschichten. Ich bin froh, den Schritt gemacht zu haben, denn die meisten Leute begegnen mir mit einer unbeschreiblichen Herzenswärme.
War es eine bewusste Entscheidung, weiterhin als Content Creatorin zu arbeiten?
Es stand kurzzeitig die Frage im Raum, wie ich beruflich weitermache. Aber da mein Job als Content Creatorin meine Haupteinnahmequelle ist, gab es so gesehen keine andere Möglichkeit. Andererseits bringt mir meine Arbeit auch viel Freude, und hilft mir dabei, ab und an den Fokus zu wechseln. Ohne meine Arbeit würde sich mein Alltag nur noch mehr verändern und in einem gewissen Sinn ist das, was durch meine Arbeit entsteht, also Bekanntschaften, Freundschaften, Verbindungen auch ein wichtiger Anker für mich.
Fühlt man sich trotz aller privater und öffentlicher Unterstützung ab und zu alleine, da man weiß, dass am Ende eigentlich nur man selbst mit der Krankheit umgehen muss?
Das ist eine sehr gute Frage, die ich jetzt gar nicht konkret beantworten kann. Einerseits entsteht eine unfassbare Nähe zu den engsten Menschen, auf der anderen Seite wird klar, dass sie das Ganze in seiner Gesamtheit nie greifen werden können. Ich habe erkannt, dass ich die Krankheit zwar alleine tragen und ertragen muss, aber von ihnen auf so viele Arten und Weisen getragen und mitgetragen werde und das macht einen großen Unterschied.
Also denken Sie nicht, dass man es Leuten überhaupt greifbar machen kann, was in einer betroffenen Person vorgeht?
Ich glaube nicht, nein. Selbst wenn ich 1000 Texte schreiben würde, die Worte würden trotzdem nie ausreichen, um die Emotionalität und alles, was mit der Krankheit verbunden ist, irgendwie zu erfassen oder dem gerecht zu werden.
Gab es in dieser dunklen Zeit bislang auch kleine Hoffnungsschimmer?
Durch diese offene Verwundbarkeit, die ich zeige, habe ich zu mir selbst, aber auch zu meinem Umfeld eine derart tiefe, ehrliche Verbundenheit geschaffen, die ich davor so gar nicht kannte. Das ist sehr nährend und kraftspendend und mit das Positivste und Schönste an dieser Situation.