Fast jeder zehnte Coronainfizierte geht in Deutschland einer Studie zufolge trotz Erkrankung zur Arbeit. Neun Prozent der Erkrankten erscheinen bei einem milden Verlauf und trotz positiven Tests im Büro oder im Betrieb, wie aus der Studie "Arbeiten 2022" hervorgeht. 17 Prozent arbeiten demnach von zu Hause aus, weitere 17 Prozent bleiben ein paar Tage zu Hause, bis die schlimmsten Symptome vorüber sind. 8 Prozent entscheiden danach, was bei der Arbeit los ist. 33 Prozent der Befragten bleiben bei einem leichten Coronaverlauf so lange zu Hause, bis sie wieder gesund sind. 16 Prozent der Befragten waren noch nicht an Corona erkrankt.

Doch auch in Österreich ist arbeiten trotz Erkrankung keine Seltenheit. Eine Erhebung der Arbeiterkammer vom April 2021 zeigte, dass rund 53 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hierzulande auch gearbeitet hat, wenn eine akute Erkrankung vorlag. Damit ist die Tendenz zum Arbeiten trotz Erkrankung steigend, denn 2019 gaben "nur" 38 Prozent an, krank zu arbeiten und 2016 waren es 33 Prozent.

Homeoffice verstärkt die Situation

Frauen neigen eher dazu, krank zu arbeiten. Und auch die Möglichkeit, im Homeoffice tätig zu sein, spielt eine Rolle, wie Karl Schneeberger vom Arbeitnehmerschutz der AK Steiermark erklärt: "Jene, die im Homeoffice tätig sind, arbeiten eher auch dann, wenn sie erkrankt sind. Das hat auch damit zu tun, dass dabei die Grenzen zwischen Privatem und Dienstlichem verschwimmen." Auch, dass die Gefahr, jemanden anzustecken, wegfällt, spiele eine Rolle.

Die Studie "Arbeiten 2022" aus Deutschland zeigt auch klar, dass das Arbeiten trotz Erkrankung bei vielen Leiden vorkommt: Am häufigsten gehen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen trotz Rückenschmerzen in die Firma (49 Prozent), 38 Prozent trotz Allergien, wie es in der Studie den Angaben zufolge weiter heißt. Auch ein Drittel der Beschäftigten mit psychosomatischen oder psychischen Beschwerden erscheint im Job.

Aus Sicht von Medizinern ist arbeiten trotz Krankheit besonders bei ansteckenden Infektionen fragwürdig. "Wer sich nicht in Ruhe auskuriert, riskiert, dass Viruserkrankungen auch Herz oder andere Organe angreifen oder sich durch Medikamente unterdrückte Symptome verschlimmern", sagt Gerd Herold, Beratungsarzt bei der Pronova BKK. "Noch dazu können Mitarbeitende angesteckt werden." So sei die Präsenz im Büro trotz positivem Corona-Test "eine unzumutbare Gefahr".

Auch AK-Experten Schneeberger meint: "Wer krank arbeitet, riskiert Folgeerkrankungen. Der einfache Rat lautet also, es nicht zu tun." Wenn Menschen diesem Rat nicht folgen, liege meist (mindestens) eine der folgenden Ursachen vor: Personalnotstand, Zeitdruck und/oder Leistungsdruck. "Viele haben das Gefühl, es ihren Kolleginnen und Kollegen nicht zumuten zu können, dass jetzt noch mehr Arbeit anfällt. Das kommt vor allem in Berufsgruppen mit niedrigem Personalstand vor – etwa bei Pflegekräften."

Eine Frage des Betriebsklimas

Vom Arbeitgeber damit beauftragt werden, trotz Erkrankung zu arbeiten, ist rechtlich natürlich nicht möglich: "Sobald mich eine Ärztin oder ein Arzt krankgeschrieben hat, ist das ein klassischer Fall der Dienstverhinderung", so Schneeberger. Er plädiert dafür, dass in Betrieben grundsätzlich ein Klima geschaffen werden sollte, indem es normal ist, bei Krankheit zu Hause zu bleiben. "Das ist auch ein Führungsthema, von Arbeitgebern sind Signale notwendig, die genau das als Normalität aufzeigen. Egal ob Corona oder andere Erkrankungen, es muss besser kommuniziert werden. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter krank zur Arbeit gehen, ist das kein Ausdruck guter Arbeitsbedingungen."