Ein Ende eines großen Teils der Coronamaßnahmen ist derzeit in Österreich in greifbarer Nähe: Bis zum 5. März stehen weitreichende Lockerungen an. Doch bedeutet das auch, dass wir uns auf das Ende der Pandemie zubewegen? Werden bald alle Maßnahmen Geschichte sein und der Alltag wieder jenem von 2019 gleichen? Oder besteht die Gefahr, dass neue Virusvarianten uns schon bald wieder drei Schritte zurückwerfen?

Prognosen für die Zukunft der Pandemie zu formulieren, ist kein Leichtes. Zahlreiche Faktoren spielen eine Rolle und einige von ihnen – wie etwa Mutationen am Virus – unterliegen zu einem großen Teil dem Zufall. Um dennoch einen Ausblick zu wagen und wahrscheinliche Szenarien für die nächsten Monate aufzustellen, haben vier Pandemieexperten aus unterschiedlichen Forschungsgebieten erklärt, wie sie die Situation für die nächsten Monate einschätzen. Während sich manche optimistisch zeigen, plädieren andere dafür, weiterhin (zumindest ein wenig) Vorsicht walten zu lassen.

Szenario 1

"Wir wissen es letztlich nicht", sagt Virologe Andreas Bergthaler (Med-Uni Wien, ÖAW) auf die Frage nach dem Pandemie-Szenario für den Herbst 2022. Zu überraschend hat sich Sars-CoV-2 im Verlauf der letzten beiden Jahre verhalten, als dass man daraus fixe Schlüsse ziehen könnte. Zwei Fragen stehen für ihn im Mittelpunkt: Wie wird sich das Virus verändern? Und wie wird sich dadurch die Krankheitsschwere verändern? Denn dass sich das Virus automatisch "harmloser mutiert" sei ein Trugschluss. "Mutationen können immer in beide Richtungen gehen", sagt Bergthaler. "Mich würde eine neue, dominante Variante – eventuell schon vor dem Sommer – nicht überraschen." Aufgrund der steigenden Grundimmunität durch Infektionen und Impfungen sollte das Gesundheitssystem zunehmend vor Überlastungen geschützt sein. "Die T-Zellen des Immunsystems sind breit aufgestellt, schützen wohl auch zunehmend vor schweren Verläufen bei künftigen Varianten." Das Überwachen von zirkulierenden neuen Viren, ergänzt durch Abwassermonitoring, wird wichtig bleiben für ein vorausschauendes Agieren im Hinblick auf Sars-CoV-2.

Szenario 2

"Wir haben aktuell eine grundlegend andere Situation als noch vor einem halben Jahr", sagt Virologe Lukas Weseslindtner (Med-Uni Wien). Grund dafür sei, dass in der Omikron-Welle trotz hoher Infektionszahlen die Intensivstationen nicht vor der Überlastung stehen. "Dass Omikron milder verläuft, ist auf zwei Faktoren zurückzuführen. Zum einen gibt es mittlerweile so etwas wie eine Basisimmunität in der Bevölkerung. Zum anderen ist die Virulenz – die Fähigkeit des Virus, krank zu machen – bei dieser Variante abgeschwächt." Das stimmt den Virologen optimistisch für die Zukunft: "Ähnliches konnte man auch bei den saisonalen Coronaviren beobachten. Im Laufe derer Evolution hat es vergleichbare Entwicklungen gegeben. Diese Viren haben sich durch Mutationen an denselben Stellen an den Menschen angepasst und sind zu milderen Viren geworden." Die milderen Erkrankungen hängen auch mit evolutionären Vorteilen für das Virus zusammen. "Ich glaube, es wird im Herbst und Winter immer Infektionswellen geben. Vielleicht wechseln sich dabei Omikron und Delta ab. Wichtig bleibt, die Basisimmunität zu erhalten. Vor allem auch durch die Impfung", so der Virologe.

Szenario 3

Die Phase hoher Infektionszahlen ist noch nicht zu Ende, die Sub-Variante BA.2 befeuert die Omikron-Welle. So lautet die kurzfristige Prognose von Peter Klimek (Complexity Science Hub). Auch im Herbst erwartet der Komplexitätsforscher eine Welle, eventuell getrieben von einer neuen Variante. "Hohe Infektionszahlen mit entsprechender Spitalsbelastung sind möglich – wie hoch genau, das ist die essenzielle Frage." Auf diese gibt es keine seriöse Antwort, weswegen es wichtig sei, den Immunisierungsgrad in der Bevölkerung im Auge zu behalten. "Durch Infektionen und Boosterkampagne haben wir aktuell eine recht hohe Immunisierung. Doch diese wird abnehmen." Auch, weil eine neue Variante die Immunantwort besser umgehen könnte. Zu bedenken gibt Klimek auch die kommende Belastung durch Long Covid, denn ein gewisser Prozentsatz der Personen, die sich jetzt infiziert haben, wird mit der Folgeerkrankung von Covid-19 zu kämpfen haben.

Szenario 4

Epidemiologe Gerald Gartlehner geht davon aus, dass eine Phase der Entspannung heuer schon früher einsetzen wird als letztes Jahr. Jedoch: "Wie es im Herbst weitergeht, kann aktuell noch niemand sagen." Da die Pandemie ein globales Ereignis ist, bestehe das Potenzial für neue Varianten verstärkt, solange nicht ein großer Teil der weltweiten Bevölkerung geimpft ist: "Österreich oder Europa kann man nicht isoliert vom Rest der Welt betrachten. Deshalb sollten auch wir ein sehr großes Interesse daran haben, dass auch in anderen Ländern rasch durchgeimpft wird." Manche Maßnahmen aufrechtzuerhalten, sei sinnvoll: "Die Maskenpflicht in Innenräumen kann eine Vielzahl von Ansteckungen vermeiden. Das ziellose Testen, das wir aktuell durchführen, ist jetzt schon sinnlos. Hier sollte man zielgerichtet Verdachtsfälle testen und an Standorten mit vulnerablen Gruppen – wie Spitälern oder Pflegeheimen – diese Strategie beibehalten."