Wenn nicht gerade eine Pandemie die Welt den Atem anhalten lässt, steht vor allem eine Krankheit im Mittelpunkt der menschlichen Ängste: Krebs. Beinahe alle kennen jemanden, der scheinbar ganz plötzlich die niederschmetternde Diagnose erhält. Und nach wie vor bedeutet die Diagnose Krebs – vor allem, wenn dieser spät erkannt wird – eine Einbahnstraße. Umso verständlicher ist die Frage: Warum kann man sich ausgerechnet gegen diese Erkrankung nicht impfen lassen?

Neu ist die Idee in der Forschung keineswegs wie Wolfgang Hilbe, Onkologe, erklärt: „Die Vision, einen Impfstoff gegen Krebs zu entwickeln, geht lange zurück. Es ist ja eine wunderbare Idee: Ich impfe die Menschen und diese bekommen keinen Krebs mehr.“ Funktioniert haben solche prophylaktischen Vakzine gegen Krebs leider nie. Die Ausnahme sind Impfungen gegen Viren, die Krebs auslösen: „Ein Beispiel dafür ist die HPV Impfung. Wenn man den HPV-Virus dank der Impfung nicht bekommt, kann dieser auch keinen Gebärmutterkrebs verursachen.“

Die meisten anderen Krebsarten werden aber nicht durch einen Virus ausgelöst. Daher setzte man in der Forschung auf eine andere Strategie: Einen Impfstoff finden, der verhindert, dass eine Krebspatientin oder ein Krebspatient nach einer erfolgreichen Erstbehandlung erneut erkrankt. Besonders vielversprechend sind hier mRNA-Impfstoffe: „Mit diesen schickt man seinem Immunsystem quasi einen Bauplan über die Erkennungsmerkmale der Tumorzelle. So weiß dieses wo es angreifen muss“, sagt Experte.

Aber wie genau kann das funktionieren? Die Idee: Nachdem bei einer Patientin oder einem Patienten ein Tumor entfernt wurde, werden Tumorzellen an ein Labor geschickt. 14 Tage später kommt ein exakt auf diesen Tumor ausgerichteter Impfstoff zurück. Mehrmalige Impfungen der Person sollen dann ein erneutes Auftreten der Erkrankung verhindern.

Die „personalisierte“ Krebsimpfung ist eine neue Dimension eines individuellen Therapiekonzepts. „Man konnte nachweisen, dass die Baupläne der Erkennungsmerkmale der Krebszellen beim Immunsystem ankommen. Allerdings fehlt dann noch etwas, dass das Immunsystem anfeuert“, so Hilbe. Aus diesem Grund sind aktuelle Studien meist Kombinationsstudien. Das heißt, man verabreicht zusätzlich zum Impfstoff noch einen Antikörper, der das Immunsystem befeuert.

Dass Ideen wie diese schon lange Teil der medizinischen Forschung sind, hat es ermöglicht, dass die Entwicklung des Covid-Impfstoffes in Rekordzeit möglich war. Nun ist aber auch ein umgekehrter Effekt zu erwarten. Die Entwicklung der Corona-Vakzine dürften auch die Forschung am Krebsimpfstoff beschleunigen: „Man hat dadurch viel gelernt. So zum Beispiel auch, wie man Ideen aus der Forschung großindustriell für den Routinebetrieb umsetzen kann. Außerdem wurden Unmengen an Produktionsstätten hochgefahren und viel Geld verdient. Auch nach der Krise wird diese Infrastruktur zur Verfügung stehen und das Kapital kann in die Forschung investiert werden. Daher glaube ich, dass die Pandemie der Krebsforschung einen unglaublichen Boost geben wird“, sagt Hilbe.


Doch die brennende Frage ist: Wie lange wird es dauern, bis ein Impfstoff gegen Krebs so ausgereift ist, dass er auch breit eingesetzt werden kann? Biontech Vorstand Özlem Türeci sprach von rund fünf Jahren. Wolfgang Hilbe zeigt sich hier aber optimistischer: „Wenn man mich vor zwei Jahren gefragt hätte, wie lange es dauert, bis ein mRNA-Impfstoff für Milliarden Menschen produziert und tatsächlich verimpft werden kann, hätte ich das, was im letzten Jahr passiert ist, nie für möglich gehalten. Wir dürfen nicht unterschätzen, welche Dynamik durch die Krise ausgelöst wurde. Der Schulterschluss von weltweiten Forschungsgruppen mit Fokussierung auf dieses Thema wird zeitnah zum Ziel führen.“

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